US-MILITÄRRICHTER STELLEN DIE FAKE-JUSTIZ IN GUANTÁNAMO IN FRAGE : Langes Warten auf Gerechtigkeit
Schon wieder hat die US-Regierung bei der Verurteilung von Guantánamo-Häftlingen eine rechtliche Schlappe erlitten. Doch Mitleid mag da nicht aufkommen, eher Erstaunen: Dass selbst die Militärrichter ein solches Maß kritischer Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit gegenüber einer Politik beweisen, die sie mit untauglichen Regularien ausstattet, ist jedenfalls eine richtig gute Nachricht.
Eigentlich weiß jede und jeder, dass das System Guantánamo niemals rechtsstaatlichen Prinzipien genügen kann. Auch eine neue Runde im juristischen Gezerre ändert daran nichts. Wenn jetzt etwa die Einstufungsanhörungen wiederholt werden sollen mit dem Ziel, den Gefangenen doch noch das Prädikat „ungesetzliche feindliche Kämpfer“ aufzudrücken, damit die Militärtribunale offiziell für zuständig erklärt werden können, dann ist das ein bloßes Herumgetrickse. Es würde auch nichts an den fragwürdigen Tribunalen ändern, bei denen die Gefangenen keine Anwälte haben und keine Beweise sehen dürfen.
Auch die neue Wendung in der juristischen Auseinandersetzung lässt die simple Wahrheit nur noch klarer hervortreten: Das Gefangenenlager in Guantánamo und sein System der Fake-Justiz gehören endlich abgeschafft. Den USA dabei zu helfen und klare Alternativen aufzuzeigen, wie mit den Gefangenen umgegangen werden könnte – auch das könnte ein Thema jener Staatschefs hinter dem Zaun von Heiligendamm sein. Manche dieser Gefangenen sitzen schon seit fünfeinhalb Jahren ohne Anklage und Prozess in Haft.
Doch im Grunde scheinen sich die europäischen Regierungen mit Guantánamo abgefunden zu haben. Zu Hause kann man ab und an damit punkten, von Präsident Bush die Schließung des Lagers zu fordern, aber mit den dort einsitzenden Menschen wird man auch nicht behelligt. Das ist bequem, tut nicht weh und belastet die transatlantischen Beziehungen nicht. So werden die Gefangenen in Guantánamo wohl oder übel weiter auf ein Verfahren warten müssen, das die Bezeichnung fair verdient – mindestens bis Anfang 2009, wenn jemand anderes ins Weiße Haus einzieht. Mit Recht oder gar Gerechtigkeit hat das nichts zu tun.
BERND PICKERT