UNZUFRIEDENE MITGLIEDER: DIE IG METALL HAT VIEL MIT DER KIRCHE GEMEIN : Weihrauch oder Kläranlage
Die Mitgliederzahlen sinken, die Krise ist auch auf dem IG-Metall-Gewerkschaftstag in Hannover zu spüren. Die Zukunftsfrage ist das drängendste Problem. Es scheint, als stünde die IG Metall dabei vor einem ähnlichen Problem wie die Kirchen: sich öffnen – oder auf alten Traditionen beharren und sich mehr und mehr nach innen verschließen. Es scheint, als wähle die IG Metall den zweiten Weg.
Wenig aktuell scheint dabei noch die alte Idee, die Gewerkschaften gewissermaßen zu „ökonomisieren“, sie mehr zu einer Art ADAC, zu einem Dienstleister für Arbeitnehmer zu machen. Schließlich können die Leute rechnen – und der Rechtsschutz der Gewerkschaft beispielsweise ist mit dem Mitgliedsbeitrag immer noch teurer erkauft als eine private Rechtsschutzversicherung. Die Tatsache, dass die IG Metall Tarifverträge aushandelt, ist zwar ein echter Service, wird aber von den Mitgliedern nicht als Dienstleistung wahrgenommen. Schließlich gelten die Abschlüsse auch für die Nichtorganisierten.
Bleibt also nur das moralische Surplus, sich für die Schwachen einzusetzen, das Weltbild der Guten und Bösen. Angesichts der intriganten Machtspiele an der IG-Metall-Spitze, angesichts eines vergeigten Streiks in Ostdeutschland ist das Moralkonto der Arbeitnehmerorganisation zwar ziemlich abgeschmolzen – doch im Widerstand gegen die neuen Sozialgesetze der rot-grünen Regierung lässt es sich wieder gut auffüllen, wie die Grundsatzrede des IG-Metall-Chefs Jürgen Peters gestern bewies. Wer sich nach außen verschließt, wärmt sich nach innen auf – mit klaren Feindbildern, einem polarisierten Weltbild der armen kleinen Leute und der bösen Bosse und jetzt auch rot-grünen Politiker. Es ist wie in den Kirchen: Dort wollen die Leute ein striktes Weltbild und religiöse Rituale wie Hochzeitsfeiern, Weihrauch und traditionelles Brimborium in den Gottesdiensten – und keine Pfarrer im Freizeitlook, die im Fernsehen vor dem Hintergrund von Kläranlagen Allerweltsweisheiten von sich geben. Es scheint, als bevorzuge auch die IG Metall den Weihrauch und die traditionelle Kostümierung. Weniger Mitglieder, die aber richtig – es ist eine Entscheidung, auch wenn sie nicht deutlich ausgesprochen wird. BARBARA DRIBBUSCH