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UNO befürchtet neue Flüchtlingswellen im Irak

■ Irakische Truppen bedrohen schiitische Flüchtlinge im Süden/ Kurdenhilfe der Vereinten Nationen droht an Geldmangel zu scheitern/ Alliierten auf dem Rückzug/ Forderung nach Kurden auf Erweiterung der Schutzzone abgelehnt

London/Genf (ap) — Genau hundert Tage nach Ende des Golfkrieges befürchten UNO-Vertreter neue Flüchtlingskatastrophen im Irak. Im Norden des Landes befürchten UN- Vertreter eine neue Flüchtlingswelle, falls die Alliierten, wie angekündigt, demnächst ihre Truppen aus der sogenannten Sicherheitszone abziehen werden. Im Süden des Landes werden irakische Schiiten, deren Aufstand gegen das Regime von Präsident Saddam Hussein zusammen mit der Rebellion der Kurden im Norden des Iraks blutig niedergeschlagen wurde, massiv von der irakischen Armee bedroht und an der Flucht in den benachbarten Iran gehindert. Die britische Rundfunk- und Fernsehanstalt BBC zitierte die UN- Diplomaten, die nicht genannt werden wollten, am Samstag mit den Worten, möglicherweise planten die Streitkräfte einen Angriff auf die Schiiten im Süden des Iraks.

Rund 700.000 schiitische Flüchtlinge befinden sich zur Zeit im Grenzgebiet zum Iran (die taz berichtete). Nach Angaben der UNO-Beamten werden sie von irakischen Soldaten im Gebiet zwischen Basra und Nasirije festgehalten. Das Militär kontrolliere die Hauptstraße zwischen Bagdad und Basra. Die Schiiten würden von den Streitkräften „ernsthaft bedroht“. Die Vereinten Nationen hätten die Regierung in Bagdad um Erlaubnis gebeten, das Gebiet besuchen zu dürfen, hieß es in dem BBC-Bericht weiter, die Antwort sei jedoch bisher nicht bekannt.

Unterdessen spitzt sich auch die Lage in der sogenannten Sicherheitszone im Norden des Landes zu. Kurdische Sippenälteste hatten in einem Gespräch am Freitag noch einmal eindringlich an den Oberbefehlshaber der Alliierten, US-Generalleutnant John Shalikashvili, appelliert, die Sicherheitszone auszuweiten und Saddam Hussein zu zwingen, den Kurden Autonomie zu gewähren. Ein amerikanischer Armeesprecher, erklärte, Shalikashvili habe die Forderungen rundheraus abgelehnt. In der letzten Woche war es in mehreren kurdischen Städten in- und außerhalb der Sicherheitszone zu Ausschreitungen gegen irakische Polizisten und Protesten gegen den bevorstehenden Abzug der Alliierten gekommen. UN-Vertreter befürchten nun eine neue Flüchtlingswelle. Die Alliierten zeigten sich davon jedoch unbeeindruckt und gaben am Samstag bekannt, daß die Verantwortung für „Operation Provide Comfort“, wie die Aktion zur Rückführung der kurdischen Flüchtlinge in den Irak genannt wurde, dem hohen UN- Flüchtlingskommissariat übergeben worden sei.

Die entsprechenden UN-Organisationen sind nach eigenen Angaben jedoch außerstande, die Versorgung der Kurden zu gewährleisten. Die meisten der fast 500.000 RückkehrerInnen aus den Flüchtlingslagern an der irakisch-türkischen Grenze haben zu Hause oft völlig zerstörte Dörfer und Häsuer vorgefunden, in denen weder Wasser- noch Stromversorgung oder Krankenhäuser funktionieren.

Rund 65 Millionen Dollar sind nach Angaben des Büros des UN-Koordinators für Katastrophenhilfe (UNDRO) nötig, um die Heimkehrer überhaupt zu ernähren. Bislang seien ganze 680.000 Dollar aus den Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt worden. Ebenso ungeklärt ist die Finanzierung der sogenannten UNO-Soldaten, die nach dem Rückzug der Alliierten die Sicherheit der Kurden „garantieren“ sollen. Nach Aussagen des UN-Sonderbeauftragten Aga Khan handelt es sich bei der „leichbewaffneten“ Truppe bestenfalls um eine Art Wachschutz. Die Stationierung von 500 Mann soll bis August nach UNDRO-Angaben 35 Millionen Dollar kosten. Bislang sind 4,5 Millionen Dollar eingegangen. Erst vierzig Mann befinden sich im Nordirak.

Über den Stand der Verhandlungen zwischen Kurdenführern und dem irakischen Diktator Saddam Hussein in Bagdad besteht unterdessen weiterhin Unklarheit. Während der Führer der „Demokratischen Partei Kurdistans“ Massoud Barzani sich offenbar weiterhin in Bagdad aufhält, ist Dschalal Talabani, Chef der zweitgrößten kurdischen Oppositionsgruppe und Mitverhandler in Bagdad, in die Türkei gereist, um dort, wie es hieß, an der Ratssitzung der Sozialistischen Internationalen in Istanbul teilzunehmen.

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