piwik no script img

Archiv-Artikel

U-BAHN-WERBUNG UND U-BAHN-KUNST Die Kunst, Nachtarbeiter aus dem Untergrund auf Werbeflächen auftauchen zu lassen

über Werbung und Kunst im öffentlichen Raum

HELMUT HÖGE

Die Werbung überzieht das Land flächendeckend – wie früher die Stasi“, titelten einige Ostjournalisten nach der Wende. Auf dem U 2-Bahnsteig unterm Alexanderplatz errang die „friedliche Revolution 89“ jedoch eine werbefreie Zone. Der Kreuzberger Kunstverein NGBK durfte diese Freiflächen dann mit Lottogeldern und Kunst „bespielen“. Kürzlich war damit Schluss. Der hochfrequentierte Ort (3.000 Menschen pro Stunde) wird seither als Ia-Standort für Reklame genutzt.

Die Kunst wurde auf ein totes Gleis – der U 10 – abgeschoben. Dabei handelt es sich um eine zum Teil noch fiktive Linie einschließlich Bahnhöfen zwischen Rathaus Steglitz und Innsbrucker Platz, die einmal bis Weißensee geführt werden soll. Auf dem U-Bahnhof Schloßstraße verläuft sie parallel zur U 9. Über den Bahnhof baute der Architekt 1974 noch einen Aussichtsturm mit Restaurant – „Bierpinsel“ genannt. Auch er ist schon lange fiktiv, das heißt geschlossen. Nur manchmal mietet ihn jemand für eine Discoveranstaltung. Man hat da oben einen guten Überblick auf die Einkaufszentren der Schloßstraße – bis hin zum „Gasometer“, aus dem man inzwischen eine Werbefläche gemacht hat, die nachts weithin leuchtet. Nach Angaben ihres „Betreibers“, der Ströer Megaposter GmbH, hat sie „pro Nacht einen Werbewert von 165.000 Bruttokontakten“.

Sich aufregende Anwohner

Ein Bürgerinitiative bekämpft diese aufdringliche Nutzung des Industriedenkmals. Sie beruft sich auf den Urbanisten Giuseppe Pitronaci: „Die Bürger haben ein Recht auf werbefreie öffentliche Räume. Und wirklich öffentlich ist ein Raum nur in dem Maß, in dem er nicht von privatwirtschaftlichen Interessen vereinnahmt wird – in einer auf Gemeinschaft orientierten Bürgergesellschaft ist ein solches Gegengewicht zu kommerziellen Einzelinteressen unverzichtbar.“ Er warnt, dass „der Druck, Flächen für Werbung zur Verfügung zu stellen, immer größer wird, je weiter sich der Staat aus der Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen zurückzieht.“ Für den Philosophen Michel Serres bedeutet die Werbung „das eigentliche Übel“, der Sozialwissenschaftler Ulrich Sonnemann sieht sie im Kontext einer uns durchdringenden „Okkulartyrannis“, die es zu zerstören gilt.

Die BVG würde desungeachtet am liebsten alle ihre Züge und Bahnhöfe mit Werbung zukleistern. Zum Glück gibt das die Konjunktur nicht her.

Für die Kunst im öffentlichen U-Bahnhofs-Raum bedeutet dies, da nicht mehr mit einer schnellen Fertigstellung der Linie U 10 zu rechnen ist, dass ihr in diesem werblichen Abseits unter Umständen ein langes Leben beschieden ist. Die NGBK-„Projektgruppe“ hat sich denn auch zum Auftakt, am 15. Oktober, nicht lumpen lassen: Oben im „Bierpinsel“ gab es Suppe und Sekt und unten auf den U 10-Bahnsteigen Reden und die Vorstellung der extra aus Texas und aus Cornwall eingeflogenen Künstler Sperandio & Grennan.

Sich meldende Objekte

Sie sind Vertreter einer Form von „Community Art“, deren „partizipatorischer Kunstbegriff“ sich in diesem Fall darin äußerte, dass sie zehn BVG-Nachtarbeiter porträtierten und daraus ein großes Comicposter machten – mit Statements der Porträtierten. Die Poster werden in verschiedenen U-Bahnhöfen hängen und im U-Bahn-TV „plus“ – einer weiteren Werbefläche – zu sehen sein.

Die Künstler konnten nicht wissen, dass im öffentlichen Nahverkehr auch die Tagarbeiter inzwischen komplett „invisible“ sind. Bei BVG und S-Bahn hat die Sarrazin’sche „Sanierung“ verbunden mit Massenentlassungen bereits derart gegriffen, dass es überhaupt keine Subjektstrategien mehr in den zwei Stadtbetrieben gibt. So dass in dieser Not die Objekte selbst sich quasi zu Wort melden mussten – in Form von Havarien durch Materialübermüdung.

Bereits kurz nach der Wende, als der Paradigmenwechsel – vom Produktionsarbeiter zum Medien-Fuzzy – einsetzte, nahmen die Künstler schon die „Objektstrategien“ ins Visier: Alle ihre damals entstandenen „Baustellenbilder“ und „-Projekte“ sind menschenentleert. Nun, nach Finanzkrise und Materialschwäche, tauchen die ersten Nachtarbeiter wieder auf – buchstäblich aus dem Untergrund. Soll man sich darüber nun freuen? Sie machen einen geschwächten Eindruck.