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Trauer über den Abschied von Ricardo RodríguezDer Raumausstatter

Helden der Bewegung

von Frédéric Valin

Ricardo Rodríguez geht weg. Nach Italien! Es ist eine Schande. In Wolfsburg färben sich die Dachziegel schwarz, die Schornsteine der Fabriken knicken traurig ein. Die Kinder fragen: Wer trägt nun die brennende Fackel im Zopf? Weh!

Die Bundesliga verliert einen ihrer besten Außenverteidiger. Sie weiß es nicht, denn sie hat es längst vergessen; wie gut Ricardo Rodríguez sein kann. Wenn man ihn lässt. Wenn er sich pässlich fühlt.

Wolfsburg, letzte Saison, das war eine Form der Krise von atemberaubenden Wahnwitz. Man hat recht wenig davon gesprochen, alle haben darauf gewartet, dass endlich der HSV „ins Unterhaus“ muss. Das fänden alle gut, das wäre schließlich historisch, und weil Kicker und Konsorten ihre Webseiten mit diversen Rekorden vollkleistern, die die Einzigartigkeit und Großartigkeit des Jetzt vor der Vergangenheit behaupten, und weil dann eben auch richtig Emotionen drin wären, ja, da hat man sich eben mit dem HSV beschäftigt. Weil, das wäre ja halt schon krass, historisch gesehen! Nach all den Jahren! Die Hälfte der Sätze letztes Jahr, die über den HSV gesprochen wurden, endeten nicht mit einem Satzzeichen, sondern mit erheitertem Kopfschütteln.

Wolfsburg hat keine Fallhöhe. Deswegen interessiert das keine Sau. Auch Leverkusen hat keine Fallhöhe. Ingolstadt! Hoffenheim hatte vorläufig eine, der Hass der anderen hatte sie erhoben. An der Stelle steht jetzt Leipzig, und Julian Nagelsmann, das Wunderkind, wundert sich, warum niemand ins Stadion kommt, um seinen wunderschönen Fußball zu sehen. Ich war mal in Sinsheim, und ein Teil der Antwort ist: weil da keiner wohnt.

Der Niedergang der Wolfsburger war von blutleerer Schönheit. Ein melancholisches Desinteresse, unterbrochen nur von sinnlosen Wutausbrüchen ob der ganzen Sinnlosigkeit, bestimmte oft ihr Spiel. Man sah die Mannschaft vor sich, anämisch, schwach, schutzbedürftig und schüchtern, im defensiven Mittelfeld biss sich Luiz Gustavo seinen Schnurrbart kurz. Hinten links aber, die Schultern nach vorne geklappt, als müsste er einen Korb Käse über einen Bergpass schleppen, buckelte mit grimmiger Miene Ricardo Rodríguez.

Es gab Spiele, da lief der komplette Aufbau über ihn. Die Innenverteidiger bekamen den Ball in den Fuß, guckten nach links und nach rechts, als wüsste der Gegner noch nicht, wohin der Ball ginge, und dann schoben sie ihn raus auf Rodríguez, der in seiner unnachahmlich gemächlichen Art Richtung Mitte trabte und einen seiner schönen Pässe spielte. Ja, Rodríguez ist lahmer als Lahm, aber das kann er: Pässe spielen. Über 30, 40 Meter, punktgenau und wohltemperiert. Wenn Ricardo Rodríguez einen Ball losschickt, weiß der, was zu tun ist.

Das fällt natürlich eher auf, wenn der nächste Ballkontakt zu einem Tor führt statt zu einem Stockfehler und Einwurf für den Gegner. Deswegen vergaß man ihn die letzte Saison über, man hatte ihn zuvor ja auch vor allem deswegen auf dem Schirm, weil er so ungewöhnlich viele Tore gemacht hatte. Seine wahre Stärke – diese Pässe natürlich, die konstante Fehlerlosigkeit, aber auch ein außergewöhnliches Raumverständnis, das ihm erlaubte, das Wolfsburger Spiel nach seinem Geschmack zu möblieren – gerieten darüber etwas in Vergessenheit; außer bei seinen Mitspielern, die in times of trouble immer wieder nach Rodríguez suchten, damit der was machte. Als Wolfsburg wieder gewann, unter Jonker, schrieben alle über Gomez. Wahrscheinlich hat das Ricardo Rodríguez nicht weiter gestört, in Gedanken war er sicher schon weit weg. Was ist schon Wolfsburg, nichts als Schnupftabak für einen Totenkopf.

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