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Archiv-Artikel

Testspiele etc. 23 verdammt lange Tage

Doch, doch, so langsam beginnt die Vorfreude auf die WM. Das sagen wir uns hier in den Redaktionsräumen und auch abends in den Kneipen jetzt täglich, spätestens seit am Wochenende die Bundesligasaison zu Ende gegangen ist. Es kribbelt, es krabbelt, es knistert und knastert, kurzum: Es wird eine tolle Zeit. Vier Wochen lang nichts anderes als Fußball, Fußball, Fußball. Richtiger Fußball im Stadion (wenig) und im Fernsehen (viel mehr), Fußballspiele, neunzig Minuten lang, mit all ihren wenigen Aufs und vielen, vielen Abs, und nicht der Quatsch, den wir seit Tagen auf allen Kanälen von Sönke Wortmann bis Guido Knopp über uns ergehen lassen müssen.

Trotzdem, das mussten wir am Dienstagabend und Mittwochmorgen mit erneutem Entsetzen konstatieren: Es dauert noch immer 23 Tage, 23 Tage, in denen wir mit jeder wirklich noch so unwichtigen Wasserstandsmeldung aus der deutschen Fußballnationalmannschaft konfrontiert werden. Da gab es doch das Testspiel Deutschland gegen Luckenwalde in Mannheim live in der ARD, und tatsächlich schauten sich dreieinhalb Millionen Menschen dieses Spiel im Fernsehen an. „Deutschland feiert ein Schützenfest“, vermeldete der ARD-Videotext ernsthaft. Ganz Deutschland feierte aber auch nach dem Spiel in Mannheim und vor dem Fernsehschirm mit einer unsäglichen Combo und sang „You’ll Never Walk Alone“.

Von einem „Schützenfest mit Stimmungsschwankungen“ berichtete anderntags die Berliner Zeitung auf ihrer Seite drei in aller Ausführlichkeit, berichtete, dass beim Fußball vor der WM alles ein bisschen anders sei als sonst, „da gibt es das Schaulaufen schon vor der Pflicht“. Auch ein ansonsten recht vernünftiger Berliner Radiosender wie Radio Eins verkündete alle halbe Stunde in seinen Nachrichten, dass Deutschland das Team von Luckenwalde in einem Testspiel mit sieben zu null besiegt habe. Aber nicht nur das: Hinterhergeschoben wurde noch, ebenfalls halbstündlich, dass das Team von Jürgen Klinsmann sicher auf Sardinien gelandet sei.

Was uns von dort alles an Nachrichten blüht, kann man sich denken: nicht nur dass Lahm operiert werden muss, sondern was Frings hört, Schweinsteiger nicht liest, Poldi isst, Kahns Golf-Handicap ist und natürlich alles über Odonkor. Wo beim Schaulaufen höchste Meldepflicht herrscht, werden die nächsten 23 Tage die längsten des Jahres.

ALEXANDER LEOPOLD