TROTZ TERMIN FÜR NEUWAHLEN: DIE LAGE IN DER UKRAINE BLEIBT KRITISCH : Problem vertagt, nicht gelöst
Mit der Einigung auf Neuwahlen am 30. September ist die Eskalation der Gewalt in der Ukraine gerade noch abgewendet worden. Der Termin stellt wohl weder das politische Lager um Präsident Wiktor Juschtschenko zufrieden noch das um Premier Wiktor Janukowitsch – Juschtschenko wollte das Parlament früher wählen lassen, Janukowitsch überhaupt nicht. Doch können beide damit leben. Ob sich nun alle an die getroffenen Vereinbarungen halten, bleibt unklar. Zu oft wurden sie in der Vergangenheit gebrochen. Und das Grundproblem ukrainischer Politik, die Vermischung politischer und wirtschaftlicher Interessen einer mehrheitlich korrupten politischen Elite, bleibt bestehen.
Die Auswirkungen der Krise vom Wochenende wird man in der Ukraine noch lange spüren. Das Lagerdenken hat sich in der ukrainischen Politik noch einmal durchgesetzt und wird auch weiter dominieren. Die Gräben zwischen der West- und der Zentralukraine auf der einen und der Ostukraine auf der anderen Seite werden immer tiefer. Noch schlimmer ist, dass das Vertrauen der Gesellschaft in die ohnehin als korrupt geltende Judikative endgültig zerstört wurde. So offen wurden die Gerichte, allen voran das Verfassungsgericht, durch Regierung und Präsident beeinflusst und manipuliert, dass dadurch das Funktionieren des gesamten Gerichtssystems in Frage gestellt wurde.
Präsident Juschtschenko geht durchaus gestärkt aus dem Konflikt heraus. Seine Popularitätswerte steigen, weil er die schleichende Revanche der „alten Kräfte“ gerade noch verhindern (oder nur aufschieben?) konnte. Diese Revanche drohte ihm mit totalem Machtverlust, sie hätte aber auch fatale Konsequenzen für die demokratische Entwicklung der ukrainischen Gesellschaft.
Der Weg zum Kompromiss führte über eine gefährliche Konfrontation und umstrittene Erlasse und Verordnungen – sowohl des Präsidenten als auch von Parlament und Regierung. Die Koalition unter Janukowitsch mag zwar damit begonnen haben, Vereinbarungen zu ignorieren und Gesetze zu missachten. Daran ist aber Juschtschenko selbst schuld – zu leichtsinnig hat er die Chancen auf Reformen und den Vertrauenskredit nach der Orangenen Revolution verspielt. JURI DURKOT