TROTZ SCHRILLER TÖNE: DIE KRITIK DER IG METALL AN LEIHARBEIT IST RICHTIG : Schlecht bezahlter Dauerstress
Keine Frage, die IG Metall hat sich im Ton vergriffen. Leiharbeit mit „Sklavenarbeit“ gleichzusetzen, ist Unsinn und beweist nicht nur historische Unkenntnis – mit solchen Plattitüden qualifizieren die Gewerkschaften auch jene Beschäftigten ab, die sie zu vertreten vorgeben. Doch die Empörung der Arbeitgeber über die dumpfe Polemik ist verlogen, denn um die richtige Sprachwahl geht es bei diesem Thema allenfalls am Rande. Die Analyse zur Leiharbeit in Deutschland, die die IG Metall vorgelegt hat, ist auch so skandalträchtig genug.
Schicksale wie die eines Arbeiters, dem 120 Stunden mit gerade mal 575 Euro vergütet wurden, sind zwar nicht exemplarisch für eine ganze Branche. Doch sie zeigen, welche Folgen diese Beschäftigungsform für Menschen hat: Leiharbeit ist die Verstetigung der Unsicherheit. Diese wird für Angestellte von Zeitarbeitsfirmen vom vorübergehenden Zustand zum festen Bestandteil des Lebens. Wer alle paar Monate die Stelle und vielleicht auch den Arbeitsort wechselt, dort auf neue Kollegen trifft und deutlich weniger verdient als sie, steht unter Dauerstress. Und er kann sein Leben kaum noch planen.
Diese neue Unsicherheit ist ein Massenphänomen: Arbeiteten im Jahr 2005 noch 444.000 Menschen bei Zeitarbeitsfirmen, waren es 2007 rund 715.000 – Tendenz steigend. Die Profiteure dieses Booms sind die Unternehmen. Sie sparen Geld, indem sie Leiharbeiter längst als festen Teil der Belegschaft nutzen – und nicht als Reserve. Eine 2006 veröffentlichte Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung hat gezeigt, dass ein Viertel aller Betriebe, die Leiharbeit nutzen, dafür reguläre Stellen streicht – und nur 12 Prozent aller Leiharbeiter auf einen unbefristeten Job wechseln. Der Klebeeffekt fällt damit deutlich geringer aus, als die rot-grüne Regierung vorhersagte, als sie die Leiharbeit so massiv stärkte.
Die Gewerkschaften tun also gut daran, die angeblichen Erfolge der Jobmaschine Zeitarbeit immer wieder zu enttarnen. Nur sollten sie in Zukunft eine Regel beherzigen: Nüchterne Kritik trifft härter. ULRICH SCHULTE