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Archiv-Artikel

TAZ-ADVENTSKALENDER. BRANDENBURGISCHE STRASSE 17 Die kochen und braten da

17. DEZEMBER Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man täglich eine nummerierte Tür öffnen – und sich überraschen lassen

Brandenburgische Straße, tiefstes Wilmersdorf. Ich stehe vor dem „Erich Hamann Haus“ und fotografiere die Auslage des berühmten Schokoladengeschäfts, genauer gesagt: die Hausnummer an der gefliesten Fassade.

Plötzlich, dicht an meinem Ohr, eine Männerstimme.

„Ach, Sie sind ooch neugierig? Dit is aber schön, ick dachte, ick bin der Eenzige mit dieser Macke. Fassaden erzählen so viel über die Stadt, oder?“

Ich blicke in ein freundliches Altherren-Gesicht unter einer karierten Schiebermütze. Der Blick, der mich trifft, ist klar und forschend.

„Nach dem Krieg war ick hier mit dem Meister unterwegs, die Stuck-Elemente von den Häusern abschlagen. Leid hat mir dit schon jetan, aber so war der Auftrag. Der Schoko-Hamann hat dit mit Fliesen jelöst – na jut, war ja immer sein Haus.

Aber Sie sind bestimmt beruflich hier, Sie sehen so aus. Architektin? Ach, Journalistin. Letzten Besuch bei unserem Regierenden, wa? Ach so, der is ja nun auch schon raus.

Ja ja, im zweeten, gleich nebenan, wo die schönen runden Balkone sind, da lebt er. Schon seit Ewigkeiten. Tollet Haus, Eigentumswohnung, wat man so hört. Sehn’se dit Haus daneben, wo unten dit Orthopädiegeschäft drin ist? Da kam immer – nicht falsch verstehen jetze – so ein niedlicher, kleiner, alter Jude und hat die Miete in der Plastiktüte kassiert. Immer in bar. Der hatte die schlimme Nazizeit irgendwie überlebt. Nach seinem Tod gingen seine Immobilien alle auf den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf über. Hoffentlich gehen die auch ordentlich mit den Häusern um, sind ja Gold wert.

Ick wohn drüben an der Ecke Konstanzer und Brandenburgische, seit 46 Jahren. Dit waren mal früher Wohnungen für BVG- Angestellte, da hab ick früher jearbeitet. Wenn’se jetze rechnen, dit die BVG schon der zweete Arbeitjeber war – dann könn’se unjefähr ausrechnen, wat ick fürn Baujahr bin.“

Aus den Ohren des Mannes wachsen kleine graue Haarbüschel. Er fragt nach der Uhrzeit, in neun Minuten fängt sein Massagetermin an. Vorher aber will er noch was loswerden.

„Vom Fenster aus kuck ich auf den Preußenpark. Wenn Sie von der Presse sind, dann schreibense ruhig, dass der Thaipark der Görlitzer Park von Wilmersdorf jeworden is. Die kochen und braten da und der Müll und allet – da laufen jeden Tag Ratten rum, groß wie Katzen. Als ich deswegen mal zum Ordnungsamt bin, wissen Sie, wat man mir da jeantwortet hat? Ach, soll unser schwuler Chef sich doch da hinstellen und sich vermöbeln lassen. Ick mein: Hallo? Der Rackles (Baustadtrat des Bezirks, Anm. d. Red.), dit is doch een jestandener Politiker, jenauso wie Wowereit. So redet man doch nich mit seinem Chef? Ick hab zu meener Zeit so viele jekannt, die jleichjeschlechtlich harmonierten, wo is da dit Problem?

Aber jetzt muss ick wirklich. War nett, Sie kennenzulernen. Wat schreibense denn nu? Ach, wejen der Schokolade sindse da. Ooch lecker. Allet Jute!“

Der Mann gibt mir die Hand und geht davon. Bei Hamann Schokoladen gibt es Gratis-Proben der Weihnachtsplätzchen auf die Hand: Vollmilch mit Zimt und Kardamom. Die Stammkundschaft bevorzugt aber eher das Handfeste: Likörpralinen, Weinbrandböhnchen. Und die legendäre Borke natürlich. „Nur die bittere, wie immer!“

NINA APIN