TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Arbeit und Genuss am Triebleben
Er masturbiere zu viel, sagte Richard Wagner über Friedrich Nietzsche. Sein Hirnleiden sei die natürliche Folge dieser Zügellosigkeit. Das war im 19. Jahrhundert, als die Huren in Paris die Männer trennten in Freier und Philosophen: „quel philosoph“ schimpften sie die, die ihren Service ablehnten.
Heute ist nicht mehr das Masturbieren an sich ein Problem, es wird nicht mehr pathologisiert, der slowenische Philosoph Slavoj Zizek etwa problematisiert hingegen eher den gemeinsamen Sex. In guter Lacan’scher Tradition behauptet er nämlich, man bilde sich stets nur ein, Sex mit einem echten Partner zu haben, benutze ihn aber lediglich als masturbatorisches Werkzeug: „Der echte Partner stellt ein Minimum an Materialität dar, um die eigenen Fantasien auszuleben.“
Sex, Sex, immer nur Sex, Adorno hatte gegen den Tod des Eros in der modernen Sexfabrik sein ganz eigenes Rezept: „Das einzige Heilmittel gegen die Fetischisierung des Sexuellen ist der sexuelle Fetischismus.“ Das erläutert er zwar nicht weiter, aber die ein oder andere Tagebuchaufzeichnung von ihm hat es wirklich in sich.
Um diese und andere solch schöne Geschichten geht es in dem Büchlein „Die philosophische Wollust“ (Primus 2011), einem hübsch schlauen Tratschkompendium, das nicht einfach das intime Leben der bekanntesten Philosphen und Philosophinnen seziert, sondern Leben und Werk gegeneinanderliest.
Wie etwa bei Georges Bataille: Eros und Tod waren für ihn Verbündete. Diesen Gedanken steigerte er bis zur absoluten Konsequenz und wollte sodann in den 30er Jahren einen Geheimbund gründen, in dem es rituelle Menschenopfer geben sollte.
Und Michel Foucault, der Theoretiker der Subjektivierung, dem die Aufschlüsselung von S/M-Praktiken im Unterbewussten höchst suspekt war und der sich viel mehr für die „reale Schöpfung neuer Möglichkeiten des Genusses“ interessierte, kommentierte seinen Aids-Virus mit dem Satz: „Was könnte schöner sein, als für die Liebe zu Knaben zu sterben?“
Im Dasein über sich hinauszuwachsen – das eint die interessanten Köpfe und Geschichten in diesem Buch. Aber das ist nur eine mögliche Perspektive.
■ Tania Martini ist taz-Kulturredakteurin Foto: privat