Stuttgart 21: Kampf um den Megabahnhof
Die Stadt ist gespalten, die Kontrahenten bekriegen sich, die Bahn AG rechnet noch. Nächste Woche soll der Baustart für Deutschlands größtes Verkehrsprojekt bekannt gegeben werden.
STUTTGART taz | Der Streit um das Megavorhaben Stuttgart 21 wird schärfer. Der Sprecher des Projekts, der SPD-Politiker Wolfgang Drexler, warf den Gegnern Panikmache vor. Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) warnte die Bahn AG davor den Bau des unterirdischen Hauptbahnhofes doch noch abzublasen. Der Gemeinderat Gangolf Stocker, der einer der Anführer der Proteste ist, nennt die Befürworter in der sonntaz eine "Mafia".
Bund, Land, Stadt und Bahn wollen den Stuttgarter Hauptbahnhof samt kilometerlanger Tunnelanlagen unter die Erde verlegen. Der neue Tiefbahnhof soll den alten Kopfbahnhof ersetzen. Nächste Woche will Drexler den Termin für den Baubeginn bekannt geben. Es handelt sich nach Angaben der Bahn AG um das größte Infrastrukturprojekt Deutschlands.
Gegner des Projekts, Bürgerinitiativen, die Grünen, Die Linke, Naturschützer um BUND und Verkehrsclub Deutschland, fordern seit Jahren, den alten Kopfbahnhof zu erhalten und umfangreich zu erneuern. Sie hoffen nun, dass die Pläne für den Tiefbahnhof in einem neuen Finanzierungsstreit kippen.
Die Reportage zu Stuttgart 21 lesen Sie in der sonntaz vom 21./22. November 2009 - zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Die Bahn will die Finanzierung allerdings bis Ende des Jahres nochmals durchrechnen. Bahnchef Rüdiger Grube kündigte bereits an, die ursprünglich kalkulierten 3,076 Milliarden Euro würden nicht reichen. Der designierte Ministerpräsident Baden-Württembergs, Stefan Mappus, schloss vorsorglich aus, die finanzielle Beteiligung des Landes zu erhöhen.
Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU), nimmt die Bahn bereits in die Pflicht. Für den Fall, dass die Bahn Mehrkosten entdeckt, sagte er taz.de: „Dann muss man reden, warum die Bahn nach so vielen Jahren Planung nicht richtig kalkuliert hat. Wir sind elf Jahre in Verzug, eine weitere Verzögerung kann den Bürgern niemand mehr verständlich machen. Im nächsten Jahr muss wie geplant mit dem Bau von Stuttgart 21 begonnen werden." Die Pläne für Stuttgart 21 waren 1994 der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Drexler attackierte die Gegner von Stuttgart 21. "Die erzählen den Leuten doch tatsächlich, es drohe eine Einsturzkatastrophe wie in Köln", sagte er der sonntaz. "Das steht auch in ihrem Flyer, der in ganz Stuttgart verteilt wurde. Ältere Leute rufen bei mir an und denken, wir wären total irre. Reine Panikmache."
"Der Drexler ist wie ein Lautsprecher, der ständig vor sich hinquatscht", sagte dagegen der Projektgegner Stocker der sonntaz. Der BUND wirft Drexler und dem Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner wiederum vor, bewusst Fakten zu verdrehen: "Es ist sachlich falsch und unredlich, die Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm untrennbar mit dem Prestigeprojekt Stuttgart 21 zu verknüpfen", sagte BUND-Regionalgeschäftsführer Ralf Stolz taz.de.
Auch in der SPD ist Streit ausgebrochen. Die Partei unterstützt Stuttgart 21 seit Jahren. Die Kandidatin für den Landesvorsitz der SPD, Hilde Mattheis, forderte aber in dieser Woche, die Pläne für den neuen Tiefbahnhof fallen zu lassen. Auch mehrere Ortsvereine wollen auf dem nächsten Landesparteitag Ende November ein Ausstieg aus Stuttgart 21 beschließen. Der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner gab sich empört: "Das ist ein Tritt in den Hintern der Sozialdemokraten im Raum Stuttgart".
Neben Stuttgart 21 ist eine Bahn-Neubaustrecke nach Ulm geplant, die auch unter Gegnern von Stuttgart 21 unumstritten ist und als wichtiges Vorhaben gilt. Die Strecke könnte auch ohne den Stuttgarter Tiefbahnhof gebaut werden. In einer doppelseitigen Reportage erzählt die sonntaz, wie die Idee des Projektes entstand, wie es auf den Weg gebracht wurde und schließlich die Stadt tief spaltete. Der taz-Kolumnist Georg Seeßlen befasst sich mit den Zukunftsvisionen der Großstädte zwischen Luxus und Zombietown.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale