Straßenumbenennung in Neukölln: Anerkennung statt Verdrängung

Nach 15 Jahren kritischer Debatte wird die Wissmannstraße umbenannt. Doch nach wem? Eine Suche.

Lucy Lameck und ihre Mitstreiterin Victoria Kopney in den Sechzigerjahren. Bild: Wikipedia

Ein Gastbeitrag von CHRISTIAN KOPP und MNYAKA SURURU MBORO 

Es ist beschlossene Sache: Nach 15 Jahren kritischer Debatte über die (Ent-)Ehrung Hermann von Wissmanns, der als Reichskommissar und Gouverneur vor allem im heutigen Tansania schwere Kolonial- und Kriegsverbrechen beging, soll die Wissmannstraße in Neukölln endlich umbenannt werden.

Nur noch bis zum Sonntag, dem 26. Juli, haben Neuköllner*innen die Möglichkeit, beim Bezirksamt alternative Namensvorschläge einzureichen. Auf der Grundlage der Einreichungen wird dann eine Jury darüber entscheiden, ob mit dem neuen Straßennamen zukünftig eine Frau aus Neukölln oder aus dem Widerstand gegen Kolonialrassismus geehrt werden wird.

Für den Bezirk wird es eine Richtungsentscheidung: Votieren Neuköllns Bürger*innen für eine Person der Lokalgeschichte, wird eine umkämpfte Spur des Kolonialrassismus vor Ort ausgelöscht und das jahrelange Engagement vor allem der tansanischen Community Berlins für eine Umbenennung im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit der deutsch-tansanischen Kolonialgeschichte ignoriert.

Neue Namensgeberin gesucht

Entscheiden sich die Neuköllner*innen für eine Persönlichkeit aus dem antikolonialen Widerstand Tansanias, würdigen sie nicht nur die bedeutende, auch in Deutschlands ehemaligen Kolonien marginalisierte Rolle von Frauen im Befreiungskampf. Sie bezeugen zugleich ihren Respekt gegenüber denen, die diese Straßenumbenennung maßgeblich erstritten haben.

Wer aber könnte die neue Namensgeberin für die Wissmannstraße sein? In Betracht käme beispielsweise die legendäre Wangoni-Herrscherin (nduna) Mkomanile (+1906). Ihr Name ist eng verflochten mit dem größten der zahlreichen Widerstandskämpfe, welche gegen Deutschlands Kolonialregime in Afrika geführt wurden.

Im sogenannten Maji-Maji-Krieg 1905-1907 standen im Süden der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ über 20 verschiedene Bevölkerungsgruppen gemeinsam gegen ihre Unterdrückung und Ausbeutung auf. Verbunden waren sie über ein weitergetragenes, magisches „Wasser“ (maji), das die Widerständigen vor den Kugeln der Deutschen schützen sollte.

Bei der Übergabe des Maji von den Wangindo an die Wangoni und der damit verbundenen, bedeutenden Ausweitung des antikolonialen Krieges spielte Mkomanile aus Kitanda eine herausragende Rolle. Als es der deutschen „Schutztruppe“ schließlich gelang, den Widerstand der Wangoni zu brechen, wurden 67 ihrer Führer*innen nach Songea verschleppt und dort am 27. Februar 1906 öffentlich erhängt. Unter ihnen auch eine Frau: Mkomanile.

Mkomanile als Vorbild für Frauen in Tansania

Heute wird Mkomanile in Songeas Maji-Maji-Nationalmuseum und am Hinrichtungsort auf Gedenktafeln gewürdigt. Jedes Jahr am 27. Februar findet dort eine staatlich unterstütze Gedenkveranstaltung der Wangoni statt, die an die Auslöschung ihrer politischen Elite und an die mehr als 100,000 weiteren Opfer auf ostafrikanischer Seite erinnern.

Mkomanile lebt auch andernorts bis heute fort: 2006, 100 Jahre nach ihrem Tod, entwickelten die Ensembles der Performance-Künstlerinnen von Binti Leo und den Bagamoyo Women Artists ihr zu Ehren ein Tanztheater-Stück. Erst kürzlich, im November 2019, wurde das Stück im Goethe Institut in Yaoundé (Kamerun) von der tansanischen Dramaturgin Vicensia Shule wiederaufgeführt. Zudem existiert seit Oktober 2007 im tansanischen Dorf Msindo das Frauen-Projekt „Mkomanile Craft CBO“, deren Mitarbeiterinnen sich Mkomanile zum Vorbild erkoren haben.

Lucy Lameck (1934-1993) würde es ebenfalls verdienen, anstelle Wissmanns in Neukölln geehrt zu werden. Lameck war eine der ersten weiblichen Abgeordneten im tansanischen Parlament und die erste Frau des Landes im Regierungskabinett. Sie kam aus einer Bauernfamilie bei Moshi am Kilimanjaro.

Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester weigerte sie sich, im diskriminierenden Gesundheitswesen der britischen Kolonialherren tätig zu werden. Fortan arbeitete sie als Sekretärin der Kilimanjaro Native Cooperative Union und wurde Mitglied der für die Unabhängigkeit kämpfenden Tanganyika African National Union (TANU), in der sie bald schon die parteiliche Frauenvereinigung leitete. 

Afrikanischen Sozialismus

Nach ihrem Studienabschluss in Ökonomie und Politik am Ruskin College in Oxford und einer Vortragsreise durch die USA wurde sie ins Parlament der nun unabhängigen Republik Tanganjika gewählt. Später übernahm sie das Amt der Stellvertretenden Ministerin für Kommunalentwicklung und Gesundheit. In ihrer über 20-jährigen Tätigkeit als Parlamentarierin initiierte sie maßgebliche Gesetzesvorlagen zur Verbesserung der Position von Frauen innerhalb der tansanischen Gesellschaft.

Als Unterstützerin der panafrikanischen Idee hielt Lameck 1965 die vielbeachtete Rede „Africans Are Not Poor“, in der sie Afrikas enormes Zukunftspotential unterstrich. Dabei betonte sie die Notwendigkeit einer selbstständigen Entwicklung und arbeitete erste Ideen für das später von Julius Nyerere propagierte Konzept eines spezifisch afrikanischen Sozialismus heraus.

Als die Politikerin im März 1993 in Moshi verstarb, wurde sie mit einem Staatsbegräbnis gewürdigt, an dem Tansanias Gründungspräsident Julius Nyerere, Sansibars Präsident Amour und Premierminister Malecela teilnahmen. In Dar es Salaam wird sie bis heute mit der „Lucy Lameck Road“ geehrt.

Engagement der Bevölkerung

Tansanias Botschafter in Berlin, Dr. Abdallah Possi, hat die Bundesregierung im Februar dieses Jahres zu „Verhandlungen über Wiedergutmachung“ für die Verbrechen während der deutschen Kolonialherrschaft in Ostafrika aufgerufen. Der Berliner Bezirk Neukölln hat nun die Möglichkeit, zu beweisen, ober er es ernst meint mit seinem Vorsatz, die eigene Kolonialgeschichte kritisch aufzuarbeiten und sich durch die Ehrung verdienter tansanischer Frauen zumindest symbolisch an dieser Wiedergutmachung zu beteiligen.

Dafür braucht es das Engagement der Neuköllner Bevölkerung, eine historisch verantwortungsbewusste Entscheidung der Jury und den politischen Willen der BVV. Käme das zusammen, könnte in der Neuköllner Wissmannstraße bald schon eine Infotafel darüber aufklären, warum sich der Bezirk dazu entschlossen hat, Wissmann nicht länger zu ehren und die Straße stattdessen nach einer bedeutenden Frau aus Tansania umbenannt worden ist.

Christian Kopp und Mnyaka Sururu Mboro engagieren sich im Verein Berlin Postkolonial.

Bis zum 26. Juli können auf der Webseite des Bezirksamtes Neukölln Vorschläge zum neuen Straßennamen eingereicht werden.

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