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Bewegung

Straßenumbenennung in Berlin-Mitte Bedeutung von Worten ändert sich

Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe im öffentlichen Raum? Ein Gespräch mit dem südafrikanischen Anthropologen Duane Jethro.

„Bei der M-Straße liegt der Missstand im Namen selbst“: Provisorische Umbenennung Bild: dpa

Die transatlantische Black-Lives-Matter-Bewegung hat der auch hierzulande nicht neuen Diskussion über Denkmäler für Kolonialverbrecher und über die Präsenz diskriminierender Fremdbezeichnungen für Menschen afrikanischer Herkunft im öffentlichen Raum, eine noch nie dagewesene Aufmerksamkeit verliehen.

Im öffentlichen Diskurs wird diese Diskussion jedoch ganz überwiegend von den Stimmen weißer Kolumnen-Schreiber dominiert, während die verschiedenen Positionen von Betroffenen kaum Beachtung finden.

CHRISTIAN KOPP vom Verein Berlin Postkolonial hat den südafrikanischen Kulturanthropologen DUANE JETHRO über seine persönliche und wissenschaftliche Perspektive auf die Thematik befragt. Die taz Bewegung veröffentlicht das Gespräch an dieser Stelle als Gastbeitrag. Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.

Dr. Jethro, Sie sind Südafrikaner und forschen am Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Können Sie uns bitte etwas mehr über Ihre Arbeit berichten?

Ich beschäftige mich mit der Produktion von kulturellem Erbe und mit umstrittenen öffentlichen Kulturen im weitesten Sinne. Ich habe über die Entstehung kulturellen Erbes in Südafrika geschrieben, aber auch über die Auslöschung und Umgestaltung der schmerzlichen Vergangenheit. Gegenwärtig setze ich mich mit der Debatte über Deutschlands koloniale Vergangenheit auseinander und damit, wie sie in Berlin sichtbar wird. Ich interessiere mich für Diskussionen über Straßennamen und wie sie mit der Art und Weise, wie öffentliche Kultur in Südafrika verhandelt wird, verglichen werden können oder auch nicht.

2015 machte die Rhodes Must Fall-Bewegung mit der Entfernung der Statue des Imperialisten Cecil John Rhodes an der Universität Kapstadt die Welt auf sich aufmerksam. Warum hat die Universität schließlich beschlossen, die Statue entfernen zu lassen?

Studierende und Wissenschaftler*innen der Universität haben Anfang 2015 eine längere Protestaktion gegen die Statue durchgeführt. Es war eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf problematische Bilder von der und für die Hochschulbildung zu lenken. Rhodes war in einem Südafrika nach der Apartheid nicht mehr tragbar. Aber es ging nie nur um seine Statue, sondern vielmehr um die Entkolonialisierung des nicht transformierten, rassifizierten Systems von Autorität, Macht und Privilegien, das in der Hochschulbildung immer deutlicher wird; es ging um Dinge, die die Statue verkörperte.

Löscht das Entfernen der Statue nicht die Geschichte aus, wie manche behaupten?

Wir müssen uns fragen: Brauchen wir eine Statue in der Öffentlichkeit, um uns an die schwierigen Geschichten zu erinnern, die mit ihr zusammenhängen? Das Entfernen von Statuen ist Teil der Geschichtsschreibung. Die Rhodes-Must-Fall-Bewegung war eine bedeutsame Periode der Geschichte im Südafrika nach der Apartheid. Wahrscheinlich war die Erinnerung an Rhodes nach der Entfernung seiner Statue stärker als je zuvor. Historisches Gedenken ist keine Nullsummenformel für das Schreiben und Auslöschen von Geschichte. Es ist weitaus komplexer und oft geht es dabei um Macht. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass problematische Ereignisse auch außerhalb des öffentlichen Gedenkens in vielen Formen erinnert werden.

Warum sollten wir uns überhaupt über Fragen des Gedenkens streiten? Gibt es nicht wichtigere Dinge, über die man sich Sorgen machen sollte?

Statuen, Museen und Straßennamen spiegeln die bestehende Gesellschaftsordnung. Sie werden von den politischen Verantwortlichen kontrolliert und geben in der Regel die vorherrschende Sicht auf die Gesellschaft wider. Sie sind wichtig für die Schaffung eines Gefühls der Inklusion und Toleranz. Ungeichheit, Kriminalität und Klimawandel können beispielsweise als unverbundene und drängendere gesellschaftliche Fragen betrachtet werden. Dabei wird jedoch der Zusammenhang zwischen der Schaffung einer integrativen, demokratischen öffentlichen Kultur und der Weiterentwicklung der Gesellschaft übersehen. Symbole, Zeichen und Kultur sind dafür unerlässlich. Aber auch das ist kein Nullsummenspiel. Die Transformation des Kulturerbes ist nur der Anfang - ein sehr wichtiger Anfang - und nicht das Ende eines umfassenderen Prozesses des sozialen Wandels.

Die „Mohrenstrasse“ war in den letzten Wochen wieder häufig in den Nachrichten. Das Institut für Europäische Ethnologie befindet sich dort. Wie ist Ihr persönlicher Standpunkt dazu?

Wir haben dieses schwierige Erbe vor der Tür, mit einer Geschichte von Versklavten in der Stadt und einem Straßennamen mit einem Wort, das heute beleidigend ist. Das macht uns und alle Bewohner der Straße zu schweigenden Komplizen. Es fordert uns heraus, Stellung zu beziehen. Der Name hat direkte Auswirkungen darauf, wie wir unsere Arbeit als Anthropologen ausführen, wie wir mit Gemeinschaften und Gästen mit unterschiedlichem Hintergrund umgehen und wie wir über koloniale Hinterlassenschaften nachdenken. Es ist eine Gelegenheit, über die Beziehung zwischen Anthropologie, deutscher Kolonialvergangenheit, kultureller Vielfalt und öffentlicher Kultur heute nachzudenken. Als Schwarzer Südafrikaner spüre ich die Verletzung durch diesen beleidigenden Begriff aus alten Zeiten persönlich und unterstütze die Forderung nach einer Namensänderung.

Hat es ähnliche Fälle von Straßennamensänderungen in Südafrika gegeben? Was ist hier anders?

Die südafrikanische Geschichte ist von Kolonialismus und Apartheid geprägt. Die Umbenennung von Straßen war ausdrücklich Teil der Empfehlungen der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission über symbolische Reparationen. Die Änderung von Straßennamen ist eine Form der öffentlichen, offiziellen Anerkennung einer problematischen Vergangenheit, und die Umbenennung ist eine Ehrung der verschiedenen Gemeinschaften, die es in der Gesellschaft gibt. Rasse und Rassismus gehören zu den Hinterlassenschaften der Kolonialvergangenheit. Diese Tatsache wird von Afrodeutschen und Menschen afrikanischer Herkunft, die hier eine Minderheit darstellen, immer wieder betont. Rassismus und die deutsche Kolonialvergangenheit sind in der Öffentlichkeit nicht genügend thematisiert worden. Für die weitere Demokratisierung des Stadtraums ist dies aber von größter Bedeutung.

Wie sollte Ihrer Meinung nach der neue Name lauten?

Das Institut für Europäische Ethnologie hat eine Nachbarschaftsinitiative gestartet, die den Vorschlag des vor allem von afrodiasporischen Gruppen geführten Bündnisses Decolonize Berlin e.V. unterstützt, den Namen M-Strasse zu ändern, um Anton Wilhelm Amo, Deutschlands ersten Schwarzen Philosophen, zu ehren. Dies würde nicht bedeuten, dass ein Straßenname durch einen beliebigen anderen ersetzt wird. Vielmehr wäre es Teil eines lebendigen und ehrenden Gedenkens an die über 300-jährige Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland, das die Straße als einen Ort des Lernens und der Erinnerung sieht. Dies ist ein guter Schritt. Ich unterstütze ihn.

Warum dieser Name? Warum nicht, sagen wir, Nelson Mandela Straße?

Mandela ist eine große historische Persönlichkeit. Doch auch wenn ich als Südafrikaner parteiisch bin, ist es dringlicher, dass zuerst Schwarze Persönlichkeiten in der Geschichte Deutschlands anerkannt und gewürdigt werden. Dabei sollten insbesondere auch Frauen berücksichtigt werden wie zum Beispiel May Ayim, die 2009/10 mit der Umbenennung des Kreuzberger Gröbenufers in May-Ayim-Ufer geehrt wurde. Amo, der sich als ehemals Versklavter höchste akademische Bildung verschaffte und sich in seiner intellektuellen Arbeit mit Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen auseinandergesetzt hat, ist ohne Zweifel würdig, erinnert zu werden.

Aber einige Professoren der Humboldt-Universität sagen, dass der 1706/07 vergebene Straßenname Menschen afrikanischer Abstammung ehren sollte und dass das Wort „Mohr“ im Deutschen positiv konnotiert war.

Möglicherweise trifft das zu. Aber es gibt einen Punkt, da muss die Geschichte der Realität der Gegenwart weichen. Die Bedeutung von Worten ändert sich. Die Anfänge progressiven sozialen Wandels zu mehr Frauenrechten, Demokratie und so weiter, zeigen uns das. Auch der Duden macht mittlerweile klar: der Begriff ist – so heißt es dort wörtlich - heute diskriminierend. Schwarze Deutsche, People of Colour und inzwischen auch viele andere Bewohner*innen der Stadt sind derselben Meinung. Auch diese Fakten und Gefühle müssen respektiert werden. Was man sich vielleicht fragen sollte, ist, wie man die Etymologie des M-Wortes und die Geschichte des Straßennamens so lesen kann, dass sie zu Antirassismus, Inklusion und Anerkennung von Vielfalt in der heutigen Gesellschaft beitragen kann.

Wird diese Geschichte mit einer Umbenennung nicht ausgelöscht? Würde etwas wie eine Informationstafel oder ein Stolperstein nicht ausreichen?

Die Straße hat eine Geschichte, die mit der frühen deutschen Kolonialvergangenheit, mit dem brandenburgisch-preußischen Versklavungshandel und mit dem Beginn der afrodiasporischen Präsenz in der Stadt Berlin verbunden ist. Das ist wichtig und wird in den Geschichtsbüchern, in denen es dokumentiert ist, auch weiter erinnert werden. Stolpersteine erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus, indem sie die ehemaligen Wohnadressen von Juden, Roma und Sinti, Homosexuellen, Dissidenten, Zeugen Jehovas und Opfern der Euthanasie markieren. Bei der M-Strasse liegt der Missstand jedoch im Namen selbst, sodass ein Stolperstein oder eine Informationstafel nicht ausreichen. Der Straßenname begegnet der Öffentlichkeit an mehreren Stellen entlang der Straße, auf Stadtplänen, aber auch als physische Adresse in Deutschland und in der ganzen Welt. Ein ortbezogener Hinweis würde dieser weiten Verbreitung der diskriminierenden Bezeichnung zu wenig entgegensetzen können.

Duane Jethro forscht am Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Centre for Anthropological Research on Museums and heritage (CARMAH).

Christian Kopp ist Historiker und engagiert sich beim Verein Berlin Postkolonial.