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Stoiber: Europäischen Bundesstaat wollen wir nicht

■ Nationalstaaten müssen erhalten bleiben

Berlin (taz) –Die Union steht offenbar vor einer europapolitischen Zerreißprobe. Während Kanzler Helmut Kohl noch gestern die Bedeutung der europäischen Einigung würdigte, forderte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung den „Bruch“ mit der europapolitischen Kontinuität der Unionsparteien. Stoiber betonte, das von ihm propagierte Ende der europäischen Einigungsorientierung von CDU/CSU stelle keinen bayerischen Sonderweg dar, sondern vollziehe sich in der „Union insgesamt“: „Wir streben keinen europäischen Bundesstaat mehr an.“ Ein Bundesstaat würde, so Stoiber, bedeuten, daß die Staatlichkeit Deutschlands „überwölbt oder ausgehöhlt würde durch eine europäische Staatlichkeit.“ Dagegen sieht er nur ein Gegenmittel, das bislang in dieser Klarheit eher von rechtsradikaler Seite empfohlen wurde: Wer die Ärgernisse der europäischen Bürokratie verhindern wolle, der müsse eine „europäische zentralistische Staatlichkeit bekämpfen“.

Daß es Stoiber um Konfrontation geht, zeigen seine direkten Angriffe gegen Kohl: „Der junge Helmut Kohl“ sei in einer Zeit aufgewachsen, „wo Deutscher zu sein insgesamt als belastend empfunden wurde“. Das sei historisch überholt: „Mit der deutschen Wiedervereinigung haben wir nun eine andere Situation – und wir müssen uns bewußt werden, was die deutsche Identität eigentlich ist.“

Für seine Absage an den europäischen Bundesstaat erntete Stoiber gestern Kritik von SPD, FDP und Union. Letztere schickte erst einmal den europapolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Kittelmann, ins Rennen. Der reagierte eher lau auf die Attacke aus München: Stoiber stelle die Gemeinsamkeit der Union in der Europapolitik in Frage. Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hielt Stoiber ein „historisches Mißverständnis“ vor, wenn er sage, mit der deutschen Wiedervereinigung sei eine neue Situation entstanden. Kommentar Seite 10

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