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Archiv-Artikel

Stefan Kuzmany über GONZO Ende einer Dienstfahrt

Die taz hatte einen Porsche. Für eine Woche. Die reichte völlig, mich in den Wahnsinn zu treiben

Ich musste ihn zerstören. Es war die einzige Möglichkeit, diese Zeitung zu retten.

Das Gerücht hatte schnell die Runde gemacht. Die taz sollte für eine Woche einen Porsche Carrera bekommen, ein Geburtstagsgeschenk. Ein Geschenk, das sich die Redaktion gewünscht hatte. Fragen wir hier nicht nach dem Warum. Nur wenige heuchelten Desinteresse. Die anderen wollten fahren. Höchstgeschwindigkeit 285 Kilometer in der Stunde. Oder ganz langsam mit offenem Verdeck. Für eine Zeitung, die sich dem Schutz der Umwelt verschrieben hat: pures Gift. Neid, Missgunst, Benzinverbrauch. 16,4 Liter in der Stadt!

Ich musste diese Welt, diese Zeitung, mich von diesem unglückseligen Porsche befreien. Aber wie?

Es gab verschiedene Möglichkeiten. Ich konnte nachts auf den Parkplatz gehen, mit einem Kanister Benzin bewaffnet und einer Schachtel Streichhölzer. Problem: Der Parkplatz war verschlossen, ein gewaltsamer Einbruch und die Entflammung des teuflischen Autos würden langwierige und unangenehme polizeiliche Ermittlungen nach sich ziehen, an deren Ende ich im Gefängnis sitzen würde.

Kein Bedarf.

Zweite Möglichkeit: den Porsche ausleihen („Dienstfahrt“) und dann verschwinden lassen. Im Landwehrkanal versenken. Bei Nachfragen konnte ich behaupten, der Wagen sei mit entwendet worden, gewaltsam, maskierte Männer (Autonome?) hätten sich des Schlüssels bemächtigt. Problem: zu unwahrscheinlich. Wo gibt es überhaupt noch Autonome? Wie hätten sie wissen können, wo ich fahre? Und warum wäre ich ihnen nicht einfach davongefahren? Von null auf hundert in 5,2 Sekunden?

Dritte Möglichkeit: auf der Dienstfahrt einen Unfall bauen. Den 85.000 Euro teuren Wagen gegen eine Wand setzen. Rahmen verzogen, Totalschaden. Der Porsche war versichert, ich würde also ungeschoren davonkommen. Einem, der sonst mit einem schrottreifen Golf II fährt, würde man es wohl ohne Weiteres zutrauen, mit dem Sportwagen nicht umgehen zu können und ihn aus Versehen zu schrotten.

An den Schlüssel zu kommen war leichter, als ich dachte. Ich musste mich nur bei der Assistentin der Chefredaktion anmelden. Fragen stellte niemand. Die Einführung in die Bedienung des Porsches (Zündschloss links, elektrisch verstellbare Sitze und Spiegel, Öffnen und Schließen des Cabriodachs, Navigationssystem, individuelle Anpassung der pressluftgefüllten Rückenpolster) ließ ich teilnahmslos über mich ergehen. Ich würde sowieso nicht weit fahren. In zwei Stunden, schärfte mir die Chefassistentin ein, müsste der Porsche wieder vor der Tür stehen. Möglicherweise, dachte ich mir. Aber sicher nicht in dem Zustand, in dem er sich jetzt befindet. Ich dankte, winkte. Und weg.

An die erste Stunde der Fahrt habe ich nur noch bruchstückhafte Erinnerung. Das mitgeführte Diktafon zur Dokumentation meiner antikapitalistischen Zerstörungswut enthält nur kurze Aufnahmen:

„Ooooooooooh!“, Auflachen Motorengeräusch. Neue Aufnahme: „Das Ding hat sechs Gänge.“ (undeutlich) Neue Aufnahme: „Fahr, fahr, mach frei, komm schon“ (undeutlich, dann:) „Mann, hat der eben blöd gekuckt!“, gefolgt von einem eindeutig irren Auflachen, einem Hupgeräusch und Gekichere.

Ich weiß dann noch von einer Tankstelle in der Gegend von Magdeburg und einer Kreditkartenrechnung von 62,70 Euro (Tankfüllung).

Irgendwann, viel später, war ich wieder in Berlin. Die Mission, den Porsche zu zerstören, hatte ich nicht vergessen. Ich sah nur überhaupt keinen Sinn mehr darin. Wie konnte ich nur jemals auf den Gedanken kommen, so etwas Schönes zerstören oder auch nur beschädigen zu wollen wie diesen wunderbaren Porsche Carrera mit seinem muskulösen Heck, seiner schlanken Taille und seinem markanten Bug? Waren wir Menschen nicht eigentlich zum Genuss geschaffen? Hat man nicht bei aller Liebe zur Umwelt Wesentliches vergessen: die Eleganz und die Dynamik und das Fahrvergnügen?

Zwei Tage später haben sie ihn dann abgeholt. Und mich? Bald.

Fragen zur Sonnenbrille? kolumne@taz.de MORGEN: Jenni Zylka über PEST & CHOLERA