: Statistisches Bundesamt für Ökosozialprodukt
■ Ergebnis einer von den Grünen initiierten Bundestagsanhörung
Lahnstein (ap) - Neben dem Bruttosozialprodukt soll in zwei bis drei Jahren erstmals eine Art Ökosozialprodukt als statistisches Maß für die Umweltqualität in der Bundesrepublik ermittelt werden. Bei der Eröffnung einer internationalen Konferenz über Wirtschaftsstatistik sagte der Präsident des Statistischen Bundesamts Egon Hölder am Montag der Nachrichtenagentur 'ap‘ in Lahnstein am Mittelrhein, die Behörde werde voraussichtlich bereits im Frühsommer nächsten Jahres das Modell für eine „umweltökonomische Gesamtrechnung“ vorstellen. „Damit sollen der Zustand und Veränderungen der Umwelt als Ganzes erfaßt werden“, erklärte Hölder.
Vor 200 Wissenschaftlern, Statistikern und Politikern aus 30 Ländern sagte Hölder, die Umwelt sei „ein Wirtschaftsgut, das aus der Betrachtung in Gesamtrechnungen nicht ausgeklammert werden darf“. Die klassische Ermittlung des Bruttosozialprodukts, des umfassendsten Maßes für die Leistung einer Volkswirtschaft, werde weithin von Marktgesetzen beherrscht. Diese Gesetze seien aber „bei der Verwaltung des Vermögens Umwelt“ ausgeschaltet, da die Umwelt ihre Leistungen weithin kostenlos zur Verfügung stelle. Hölder betonte: „Es kann nicht länger den beliebigen Zugriff auf die Umwelt geben.“
Der Präsident der Wiesbadener Behörde bezeichnete die Entwicklung einer umweltökonomischen Gesamtrechnung als eine neue Herausforderung für die internationale Statistik. Trotz erheblicher statistischer Probleme habe sich das Bundesamt entschlossen, den Gesamtkomplex Umwelt nicht nur - wie zunächst geplant - mit einem sogenannten Satellitensystem eher beschreibend darzustellen, sondern „eine eigenständige umweltökonomische Gesamtrechnung aufzustellen“. Dabei wird nach Darstellung Hölders die Möglichkeit einer Kombination mit der klassischen Sozialproduktstatistik angestrebt, um so „auch das Austauschverhalten zwischen Wirtschaft und Umwelt deutlich zu machen“.
Im Mai dieses Jahres hatte der Wirtschaftsausschuß des Bundestags Fachleute und Verbände zu einer von den Grünen initiierten Anhörung über die ökologischen Kosten des Wirtschaftswachstums geladen. Dabei hatten sich Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gegen eine Erweiterung der bisherigen Sozialproduktberechnung ausgesprochen. Hingegen erklärte das Münchener Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, das traditionelle Bruttosozialprodukt sei „in dem Maße ein ungeeigneter Ansatz zur Bewertung der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wie Folgekosten des Wirtschaftsprozesses mit positivem Vorzeichen in die Sozialproduktberechnung eingehen“. Eine entsprechende Bereinigung läge dem Ifo -Institut zufolge auch deshalb im Interesse der Bundesrepublik, weil nach dem Bruttosozialprodukt die Höhe der EG-Beiträge bemessen wird.
Bei der bisherigen Berechnungsmethode der amtlichen Statistik wirken sich beispielsweise die Beseitigung von Umweltschäden, Verkehrsunfälle oder die Heilung umweltbedingter Krankheiten positiv auf das Wirtschaftswachstum aus. Einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin zufolge entfallen mindestens zehn Prozent des Bruttosozialprodukts oder rund 200 Milliarden Mark auf sogenannte defensive Ausgaben zur Beseitigung oder Vermeidung ökologischer und sozialer Schäden.
Nach dem bisherigen Stand der Vorbereitungsarbeiten im Statistischen Bundesamt könnte eine umfassende umweltökonomische Gesamtrechnung „zumindest anfänglich wohl nur in mehrjährigem Abstand“ erfolgen. Auch beeinträchtigen die Pläne nach Ansicht Hölders nicht die Bedeutung des Bruttosozialprodukts: Sofern dessen beschränkte Aussagekraft ausreichend beachtet wird, „werden die Aussagen über das Wirtschaftswachstum auch in Zukunft ein wichtiges Orientierungsdatum für die Wirtschaftspolitik bleiben“.
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