Standbild: Reklame fürs Weiterleben
■ betr.: "Hand an sich legen"
„Hand an sich legen“, Dienstag, ZDF, 22.15 Uhr
Ein Film über SelbstmörderInnen lebt mit dem Paradox, daß seine Protagonisten „es nicht geschafft“ haben und darüber jetzt ganz froh sind. Selbstsicher und lebenslustig wirkende Menschen erzählen von ihrer „Lebensangst“ als etwas Vergangenem, Bewältigtem. Um dieses dramaturgische Dilemma wissend, geht der Film von Gisela Marx das Thema vehement mit einem existentialphilosophischen Diskurs an. „Der Skandal ist nicht der Suizid“, so die These, „sondern die mangelhafte Antwort auf die Frage: Warum leben wir?“ Um diese Sinnfrage nicht ständig neu ertragen zu müssen, verschaffe man sich mit dem Gedanken an den Tod Erleichterung. Der Suizid wird damit als „ideelle“ Tat betrachtet, er wird akzeptiert, vom Geruch des Unanständigen und der Schwäche befreit. Der Akt der Gewalt, seine Körperlichkeit bleiben ausgespart. Die Kamera findet zu diesen Passagen Chriffren für Angst, Vergänglichkeit, Chaos: der lange dunkle Gang, kräuselnde Wasseroberflächen, das Lichtergewirr über der nächtlichen Stadt.
Die fünf befragten Suizidanten verarbeiten ihre „Tat“ auf unterschiedlichem Niveau. Der Fotograf imaginiert seinen Tod in einem morbid-lasterhaften Ambiente; die drei „Intellektuellen“ erzählen ihre Geschichte psychologisch versiert und wortgewandt, trennen analytisch zwischen Symptom und Ursache. Die frühfamiliären Konfliktsituationen werden benannt: der übermächtige Vater, die fehlende Elternliebe, die puritanische Erziehung. Dennoch bleiben diese Berichte seltsam kalt und fern, zu glatt und gelernt wirken Sprache und Erkenntnis. Offenbar ist das der Preis, den der Geheilte zu zahlen hat: Er spricht von sich als einem fremden Dritten. Nur die fünfte „Tatzeugin“ schildert eindrucksvoll ohne Fachvokabular den „Tunnel des Schreckens“, den sie nach einer Abtreibung durchquert hat. Das Entsetzen und das folgende Glück über ihre „Wiedergeburt“ sind ihrem Gesicht abzulesen.
Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich darf die entscheidende Schlußfrage stellen: Ist nicht der Versuch, sich umzubringen, letztlich der Versuch, das Leben zu lernen? Die fünf Personen antworten mit einem fast propagandistischen Statement, in dem sie betonen, welche Lust am Leben sie jetzt hätten. Sie machen, polemisch gesprochen, Reklame fürs Weiterleben. Wolfgang Hinterstoißer
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