Sonderausgabe Gegenöffentlichkeit : 50 Jahre gegen den Strom
Wenn Benno Ohnesorgs Tod der Nukleus einer neuen Gegenöffentlichkeit war, wo stehen wir dann heute – im Zeitalter von „Lügenpresse“, Fake News, Bots, Hoax und Donald Trump?
Was kann Gegenöffentlichkeit, 50 Jahre nachdem Benno Ohnesorg erschossen wurde? 1967 schien die Welt sortierter, aber immerhin war Hochglanz noch Hochglanz: Kritik am Staatsbesuch des autoritären Schahs und seiner Frau Farah war unerwünscht, stattdessen fand in den großen Blättern glamouröse Hofberichterstattung statt und die Demonstrant*innen vor der Oper wurden medial erfolgreich als rüpelnde Spielverderber dieses Staatsbesuches stilisiert.
50 Jahre später ist die Lage weitaus komplizierter: Dem Ruf nach Gegenöffentlichkeit nach den Schah-Protesten wurde zwar rege Folge geleistet – unter vielen anderen auch mit der Gründung dieser Tageszeitung – doch die Öffentlichkeit und damit auch die Gegenöffentlichkeit haben sich seither radikal verändert.
Durch die sozialen Medien sind kleinste Nischen sichtbarer geworden, kann sich jede – je nach Perspektive, noch so abseitige – Splittergruppe buchstäblich lauthals präsentieren. Interessengruppen werden so nicht gehört, wenn sie besonders groß sind, sondern wenn sie auffallend lärmend sind – und wenn die Nachricht dazu möglichst viele Klicks verspricht.
Fake News? Kein neues Phänomen
Boulevard klickt, Fake News auch. Und dies in einem horrenden Tempo: Leicht kopiert sich, was gerade knapp quergelesen wurde und kaum je den Hauch Reflexion bekommen hat. Auch wenn Fake News keineswegs ein neues Phänomen sind: Die Geschwindigkeit von Newsproduktion ist durch ökonomische Zwänge und technische Möglichkeiten oftmals schneller geworden als der Informationsfluss selbst.
Womit Gegenöffentlichkeit längst auch zum Kampfbegriff geworden ist: Linke wie rechte Bewegungen reklamieren unterdessen Gegenöffentlichkeit für sich, um gerade deswegen besonders glaubwürdig zu sein.
Andererseits: Wer hat behauptet, gegen den Strom zu schwimmen, sei nicht mit Anstrengungen verbunden? Demokratie lebt von unterschiedlichen Meinungen, zuweilen auch von Widersprüchen. 50 Jahre Gegenöffentlichkeit, eine Bestandsaufnahme – wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen Gegen den Strom!
JAN FEDDERSEN & GINA BUCHER, ProjektleiterInnen der taz.gegen den strom