So geht das von WIGLAF DROSTE :
Die Bombardierung Dresdens spielt eine zentrale Rolle beim Versuch der Deutschen nach 1989, sich als die wahren Opfer des Zweiten Weltkriegs zu fühlen und aufzuführen. Unendlich viel dummes, ekelhaftes Nationalgeschrei könnte vermieden werden durch die Lektüre von Kurt Vonnegut, der als 22-jähriger kriegsgefangener US-Soldat den Luftangriff auf Dresden erlebte. 1970 veröffentlichte er „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“ – eine vielschichtige Erzählung, die ohne Pathos und heulsusiges „Warum nur?“-Gezeter die Folgen des Krieges beschreibt: „Eine der Hauptwirkungen des Krieges ist schließlich, dass die Menschen entmutigt werden, Eigenpersönlichkeiten zu sein.“
Genau das ist umgekehrt der Grund dafür, warum Krieg und Soldatenleben bei vielen so beliebt sind: Der Krieg nimmt seinen Teilnehmern die unangenehme Arbeit ab, ein eigenes Leben zu führen. Wer im Krieg ist, hat kein erwähnenswertes Ich mehr. Selbst wer am Leben bleibt, ist ausgelöscht, und wenn mal Fragen nach der persönlichen Verantwortung gestellt werden, gibt es ja den guten, alten Befehlsnotstand, auf den man sich bequem berufen kann.
„Schlachthof 5“ ist auch deshalb ein so fantastisches Buch, weil es sich nicht mit dem üblichen Händeringen über den Krieg abgibt. Nüchtern und lakonisch beschreibt Vonnegut die Zerstörung von Menschen, und wenn jemand unfreiwillig aus dem Leben tritt, heißt es nur kühl: „So geht das.“ Das Abschlachten vollzieht sich nach den Regeln des christlichen Abendlands, dessen Analyse Vonnegut mitliefert: „Die Evangelien lehrten in Wahrheit dies: Bevor du jemanden umbringst, versichere dich ganz genau, dass er keine einflussreichen Beziehungen hat. So geht das.“
Das christliche Weltgepeitsche hat Vonnegut hinter sich gelassen. 30 Jahre nach „Schlachthof 5“ beschreibt er in „Gott segne Sie, Dr. Kevorkian“ ohne jede Angeberei seine Weltanschauung: „Ich bin Humanist, was teilweise bedeutet, dass ich versucht habe, mich anständig zu benehmen, ohne dafür Belohnungen oder Strafen zu erwarten, wenn ich tot bin.“
Groß war die Freude, als mir mein Nachbar die Hörbuchfassung von „Schlachthof 5“ in die Hand drückte – mit ungekürztem Text, 312 Minuten auf 4 CDs, in einem schönen, festen Karton. Warum aber wurde ausgerechnet Kurt Vonnegut, die schärfste Waffe des Humanismus, von Sprach- und Sprechunkundigen verhörbucht? Der Schauspieler Jan Josef Liefers sagt „Tschicago“ (statt „Schicago“), der Staat Iowa (mit der Betonung auf dem „I“) wird bei ihm zu „I-ówa“. Illinois (mit stimmlosem s am Ende) heißt bei Liefers „Illinoiß“, und die Mützen, nach denen die berüchtigten „Green Berets“ benannt sind, spricht er „Barretts“ (statt richtig: „Bereys“). Dass Liefers die korrekte Aussprache nicht kennt, wäre nicht tragisch – es hätte ihm bei der Aufnahme jemand sagen können, wie man das richtig spricht. Doch Regie und Redaktion beim RBB und der mitproduzierende Audio Verlag merkten gar nichts. Der deutschen Sprache sind die Beteiligten ebenfalls nicht immer mächtig: „sexuell“ wird mit weichem s gesprochen, also nicht: „ßexuell“.
Zurück zu Vonnegut, der sich diesen Grabspruch wünscht: „Alles war schön. Nichts tut weh.“