Sinnvolle Antworten auf sinnlose Fragen: Frag Frank

Darf man der Verkäuferin im Supermarkt „noch einen schönen Tag“ wünschen? Arno Frank antwortet sinnvoll auf sinnlose Fragen.

Bild: Anja Weber

Von Arno Frank

Zögerliche Fragen, die mit „Darf man …“ beginnen, sind eigentlich aus Prinzip mit einem donnernden „Ja!“ zu beantworten. Allein schon deshalb, weil – Hand  aufs Herz! – solcherlei ethische Ratschläge überflüssig sind. Meistens genügen ein Innehalten und Lauschen darauf, was geboten ist. Dann beantworten sich diese Fragen von selbst.

Dachte ich zumindest. Weshalb ich den Verkäuferinnen in meinem Rewe stets ein „Ihnen einen schönen Abend noch!“ schenkte, sobald ich meine Waren verpackt hatte. Ich hielt das für respektvoll. Zumal es zum antrainierten Repertoire einer Einzelhandelsfachkraft gehört, ihrerseits den Kunden mit einem „Schönen Abend!“ zu verabschieden. Ein interessanter Irrtum.

Gerade hatte sich die Kundin vor mir von der Verkäuferin verabschiedet („Wünsche Ihnen einen wunderbaren Abend!“), da hörte ich meine bewährte Kassiererin unwirsch in sich hineingrummeln. Sie schien wirklich aufgebracht. Auf meine Frage, was denn los sei, erklärte sie: „Naja, draußen ist herrlichstes Wetter, wir haben 18 Uhr, der Laden hier hat noch vier Stunden geöffnet, danach darf ich noch die Kasse machen und aufräumen … und da wünscht die mir einen schönen Abend!?“

Dieser Artikel ist in taz FUTURZWEI N°9 erschienen.

Die Floskel wird zur sozialen Frage

Und plötzlich ist, was ich für eine übliche Sprachregelung im Dienstleistungsgewerbe hielt, zu einer sozialen Frage geworden.

Die gibt es noch, die sozialen Fragen. Sie stellen sich mit unverminderter Dringlichkeit, nicht nur im Billiglohnsektor, bei der Pflege oder der Wohnungssuche. Mein Feierabend ist anderer Leute Mittagspause. Mein Trinkgeld ist anderer Leute Einkommen. Das Nagelstudio ist kein ästhetisches Ärgernis, sondern Zeichen gesellschaftlicher Verhältnisse als Ort, an dem Verkäuferinnen ihre Hände auf vorzeigbare Kundentauglichkeit trimmen lassen.

Mein routiniertes Austeilen und Erwarten vorgestanzter Höflichkeiten als Verbraucher oder Kunde stützt ein System, das um eine manierliche Glasur für die Barbarei des Mindestlohns bemüht ist. Für mich gehört „‘n schönen Abend!“ zum Service, den ich mir im Supermarkt abhole, den gibt’s zur Butter und zum Klopapier kostenlos mit dazu.

Für die Verkäuferin, die die Formel so inflationär hört, wie sie sie ausspricht, entfremdet sich diese kleine Menschlichkeit zu einem zynischen Automatismus. Oder, schlimmer noch, zu einer Geste gönnerhafter Herablassung gerade dann, wenn sie von Herzen kommt: „Sie machen aber nicht mehr allzu lange, Herzchen?“ Ebenso wenig kann ich meiner afrikanischen Putzfrau das „Du“ aufnötigen, wenn sie mich lieber mit „Sir“ anredet – weil das einer sozialen Hierarchie entspricht, die ich meinem Gewissen zuliebe gerne eingeebnet sähe, auch wenn sie damit nicht verschwindet.

Haben Sie auch eine Frage? Fragen Sie Frank: futurzwei.leserbriefe@taz.de

Auf den Kontext kommt es an

Es ist kompliziert. Was tun?

Es wäre zur Kenntnis zu nehmen, dass Menschen auch dann keine Automaten sind, wenn ihr Beruf verlangt, dass sie wie Automaten funktionieren. Deshalb kommt es ganz darauf an. Worauf? Auf die Situation, den Zusammenhang. Auf den guten alten Kontext, der sich ohnehin von einer stolzen Matrix aller Dinge rapide zu einer vernachlässigenswerten Kleinigkeit entwickelt hat. In ihrer ökonomischen Funktion ist die Kassiererin ein recht anfälliger Vorläufer des Roboters, der bald unsere Waren über den Scanner ziehen wird. Zu erkennen wäre sie allerdings als Mensch, der mal unter seiner Situation stöhnt – und mal ganz glücklich darüber ist, überhaupt „in Arbeit“ zu sein. Was dieser Mensch ganz sicher nicht ist: ein rohes Ei.

Die Frage („Darf man …?“) wäre denn auch hier mit „Aber gewiss!“ zu beantworten. Menschen freuen sich meistens über ein menschliches Wort, ausgesprochen oder empfangen. Wenn das aber mal nicht der Fall sein sollte, dann werden wir uns das schon sagen. Und aushalten.

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