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Selbst Wallstreet-Bankier fordert höhere Gehälter

■ Löhne sollen mit der Produktivität steigen. Schlecht bezahlte Arbeiter sind illoyal

New York (AFP) – Die Personalpolitik der US-Firmen dient deutschen Unternehmern als Vorbild bei ihrer Kritik an den hiesigen Lohnkosten. Jetzt stehen die niedrigen Gehälter in den USA selbst in der Kritik. Der Chef-Ökonom der Investitionsbank Morgan Stanley, Stephen Roach, verurteilte in einem Rundbrief an die Kunden des renommierten Bankhauses die Strategie vieler Unternehmen, durch Lohnzurückhaltung, Entlassungen und Stillegung ganzer Werke ihre Bilanzen zu sanieren. Dies seien die einzigen Faktoren, die beim Bemühen um Wettbewerbsfähigkeit zum Zuge kämen, schrieb Roach und forderte: „Es muß mehr getan werden, um die Produktivität dauerhaft zu steigern.“

Zugleich empfahl Roach seinen Kunden, die Gehälter ihrer Mitarbeiter entsprechend der Produktivitätsfortschritte anzuheben. Andernfalls drohten sozialpolitische Auseinandersetzungen, die Eingriffe der Politik in die Unternehmertätigkeit provozieren könnten. Der Vorstoß des Bankexperten fand ein promptes Echo bei der US-Bundesregierung. Arbeitsminister Robert Reich zeigte sich „sehr ermutigt durch das, was ich von Roach und anderen Analysten höre“. Reich setzt sich bereits seit langem dafür ein, daß die Unternehmen in der Personalpolitik umdenken. Er hat unter anderem vorgeschlagen, den Firmen, die an ihren Mitarbeitern festhalten, Steuervorteile zu gewähren.

Roach verwies in seiner Analyse auf eine Diskrepanz zwischen steigenden Unternehmensgewinnen auf der einen Seite und stagnierenden Gehältern auf der anderen. „Die Beschäftigten können nicht ewig unterbezahlt bleiben“, warnte Roach. Zwar seien Kostenreduzierungen vor allem wegen der japanischen Konkurrenz und des in den 80er Jahren hohen Dollarkurses auch im Personalbereich nötig gewesen, die US-Unternehmen seien aber zu weit gegangen. „Diese Taktik kann langfristig zu einem Auslöschen der Industrie führen“, warnte der Bankexperte.

Unter seinen Kollegen in der New Yorker Wallstreet stieß Roach auf heftige Kritik. „Die Unternehmen ersetzen Menschen durch Maschinen, weil Arbeitskräfte zu teuer sind“, meint die Chefökonomin des Bankhauses CS First Boston, Rosanne Cahn.

Der Unternehmensberater Frederick Reichheld dagegen unterstützt Roach: „Gehaltskürzungen und Preissteigerungen haben negative Folgen für die Loyalität der Mitarbeiter und verringern damit die Beständigkeit sowie den Wert der Unternehmensaktien.“ Vincent Baby

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