■ Science-fiction: Los Angeles 2019
Auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges hatte sich der amerikanische Science-fiction-Autor Philip K. Dick unter dem Einfluß von Amphetaminen eine Geschichte mit dem Titel „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ ausgedacht. Der Roman ist ein typisches Produkt seiner Zeit, er schildert die Abenteuer von Rick Deckard, der im San Francisco nach einem Atomkrieg entflohene Androiden jagt. Die beinahe vollständige Ausrottung der gesamten Fauna hat dazu geführt, daß Reichtum an der Zahl der Tiere gemessen wird, die ein Mensch besitzt. Deckard hält sich ein künstliches, ein elektrisches Schaf auf dem Dach seines Apartements, hofft aber, sich eines Tages ein lebendiges leisten zu können. Richtig berühmt wurde Dicks Prophezeiung, derzufolge in den verfallenen Städten der Zukunft nur mehr die Überlebenden der von ihnen selbst inszenierten Apokalypse zu finden sind, erst 1982 als Ridley Scott aus der Geschichte den grandiosen Film „Blade Runner“ machte. Was wir sehen, ist die Welt und eine Stadt (Scott verlegte die Handlung nach Los Angeles), die zum Teil noch aus dem besteht, was wir jetzt schon haben, zum Teil aber auch aus dem, was uns die Zukunft bringen kann. Es ist eine Welt, die noch nicht an ihren Problemen zugrunde gegangen ist, sie aber auch nicht gelöst hat. Los Angeles im Jahre 2019, das sind düstere Industrielandschaften und eine verfallene Metropole, auf deren Ruinen eine Stadtlandschaft mit einer gigantischen Architektur errichtet wurde. Einige der Gebäude sind 500 Stockwerke hoch: die Häuser der Privilegierten. Das Labyrinth der Straßen liegt in einer Unterwelt, finstere Canyons in denen Menschen ohne Hoffnung in einem multikulturellen Chaos leben. Es regnet ständig. Die Luftverschmutzung hat dermaßen zugenommen, daß es nie richtig hell wird. Ganze Fronten von Wolkenkratzern sind zu Videoschirmen umfunktioniert worden, auf denen permanent Reklamespots laufen. Um der Überbevölkerung Herr zu werden, versucht man die Menschen zum Auswandern auf andere Planeten zu bewegen. Zu diesem Zweck schweben Luftschiffe über der Stadt und bombardieren die Bevölkerung mit Propaganaparolen. „Blade Runner“ ist wohl die atmosphärisch dichteste, detaillierteste und am gründlichsten durchgestylte Zukunftsvision, die je auf der Leinwand zu sehen war. Und obwohl man das elektrische Schaf gestrichen hatte, gefiel auch Philip K. Dick der Film. Nachdem er einen Rohschnitt gesehen hatte, bekannte er: „Wenn ich morgen sterben müßte und in den Himmel käme, wäre ich ein glücklicher Mensch. Mir war, als sei hier eine Welt auferstanden, die meiner eigenen Vorstellung entsprungen ist.“ Den fertigen Film sah er nicht mehr. Kurz vor der Premiere starb der Schriftsteller an einem Herzanfall. Er wurde nur vierundfünfzig Jahre alt.Karl Wegmann
Philip K. Dick: „Blade Runner“. 190 Seiten, Heyne-Taschenbuch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen