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Schwerer Fehler -betr.: "Laßt den Kindern ihre Masern", taz vom 15./16.6.1996

Betr.: „Laßt den Kindern ihre Masern“ v. 15./16.6.

Liebe taz-Redaktion, lieber Klaus Thies,

an dem Artikel „Laßt den Kindern ihre Masern“ ist sehr viel zu kritisieren. In Kürze nur einiges: Die schweren Komplikationen bei Masern sind vollkommen unabhängig vom Ernährungszustand der Kinder. Die letzten schwer erkrankten Kinder in Bremen, die ihr Leben lang von den Folgen gezeichnet sein werden, waren keineswegs „Dritte Welt“-Kinder. Ein mir noch sehr in Erinnerung liegendes Kind ist Kind anthroposophisch orientierter Eltern, die leider auch ihre Weltanschauung über das Wohl ihres Kindes stellten. Auch scheint es mir als ein gewisser Zynismus seitens eines Kinderarztes, mögliche Entwicklungsfortschritte im Rahmen einer Krankheit als Beleg dafür zu nehmen, daß die Kinder krank werden sollten.

Nicht nur bei Masern, sondern bei vielen anderen teilweise noch schwereren Erkrankungen machen Kinder natürlich Entwicklungsveränderungen, teilweise Fortschritte durch. Dieses allein deswegen, da Krankheit immer ein Lebensprozeß ist. Dennoch wünscht man keinem Kind eine schwere Krankheit an den Hals. Sehr dubios ist auch die Begründung, Dr. Klaus Thies habe seit 12 Jahren keine Masernhirnhautentzündungen gesehen. Erstens ist nicht die Hirnhautentzündung nach Masern das Schlimme, sondern die Hirnhautentzündung selber führt zu schwerstem geistigen Verfall, und zweitens ist es ja gerade die relativ hohe Durchimpfung, welche es einem einzelnen Kinderarzt in einer einzelnen Praxis vergönnt, ein solch schweres Krankheitsbild kaum noch zu sehen.

Hätte sich Dr. Klaus Thies dieses Jahr in eine der Bremer Kinderkliniken begeben, so hätte er dieses schwere Krankheitsbild gesehen. Das Motto, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, mag für einzelne Individuen gelten, aber nicht für einen Kinderarzt, der verantwortungsbewußt seine Aufgaben wahrnehmen muß.

Ich weiß sehr wohl, daß Dr. Klaus Thies ein sehr verantwortungsbewußter Kinderarzt ist, ich kenne ihn auch seit langen Jahren. In dieser Frage begeht er aber einen schweren Fehler.

Dr. med W. Marg, Kinderarzt in der Prof.-Hess-Kinderklinik

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