Schulden und schlechtes Gewissen : KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN
Das Lehrbuch des John Maynard Keynes wird jetzt in Deutschland Gesetz. Schulden machen in der Rezession, das Geld zurückzahlen in besseren Zeiten: Das war die Idee, die der britische Ökonom in seiner „Allgemeinen Theorie“ vor 70 Jahren formulierte, und es ist das Prinzip, das die große Koalition jetzt in der deutschen Verfassung festschreiben will – mit dem kleinen Unterschied, dass nicht vom Zurückzahlen die Rede ist, sondern nur vom Verzicht auf neue Kredite.
Doch wird das Prinzip, das weltweit noch nirgends funktionierte, auch unter dem Schutz des Grundgesetzes nicht Realität werden. Das Problem besteht in der Unberechenbarkeit der Konjunkturzyklen, mit denen sich die mechanistische Theorie der geplanten Paragrafen nicht zur Deckung bringen lässt. Ist ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent schon ein Aufschwung? Oder ist es noch ein Abschwung? Das weiß man immer erst hinterher. Dann sind aber die Schulden schon gemacht, die man – wie man im Rückblick erkennt – doch lieber hätte zurückzahlen sollen.
Zudem verhöhnen Union und SPD mit ihren Plänen jene Generationengerechtigkeit, die sie so wortreich beschwören. Sie häufen einen riesigen Schuldenberg an und verpflichten nachfolgende Alterskohorten schon jetzt darauf, ihn wieder abzutragen. Durch die Streckung des Zeitplans bis zum Jahr 2020 wird das Problem weiter verschärft. Viele der Kinder, deren Lehrer in elf Jahren nicht mehr bezahlt werden können, sind heute noch gar nicht geboren. Künftige Kürzungsdebatten und harte Verteilungskämpfe lassen sich voraussehen. Ursache dafür ist aber nicht die Schuldenbremse, sondern die bedenkenlose Defizitpolitik der Vergangenheit und Gegenwart.
Politisch ist die Schuldenbremse ein erstaunlicher Kraftakt, den man der großen Koalition kaum noch zugetraut hätte. Dass sich Bund und Länder dazu bereitfanden, am Ende sogar unter Einschluss der bayerischen CSU, zeigt vor allem eines: das überbordend schlechte Gewissen der Akteure angesichts eines teuren Konjunkturpakets von zweifelhafter ökonomischer Wirkung, das überwiegend aus Gründen der Koalitionsarithmetik zustande kam.
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