Schlussverkauf : Wo ist billig?
von Tiemo Rink
Dreißig Kilometer südlich von Stuttgart ist immer Schlussverkauf. Seit der Metzinger Designer Hugo Boss in den sechziger Jahren begann, am Firmensitz die Ausschussware zu Sonderpreisen zu verkaufen, strömen Schnäppchenjäger in die schwäbische Kleinstadt. Mittlerweile sitzen mehr als fünfzig Unternehmen in Metzingen. Millionen Menschen kaufen hier ein
Hugo Boss, 10:28 Uhr
„Nun sei doch nicht böse“, will die Frau den Mann beruhigen. Er steht im Obergeschoss des Hugo Boss Special Offer Shop, hineingezwängt in den schmalen Spalt zwischen Wand und Kleiderständer, und passt nicht in die Hose. Durch die Lücken im Kleiderständer kann man seine Beine sehen: zwei behaarte, fleischige Säulen. Die schwarzen Socken graben sich in die weiße Haut.
„Ich bin nicht böse“, zischt er. Sein Blick fällt auf die Hose in seinen Händen („Jeans Texas“, 49,95), er schaut angewidert. „Einfach zu eng.“ Der Mann ist Mitte fünfzig, trägt angegrauten Bart und krause Haare, die am Hinterkopf licht werden. Seine Begleitung trägt braune Lederstiefel bis kurz unters Knie, einen dunklen Mantel, die Brille in die Haare gesteckt. Ihre Augen scannen die Auslagen. Das Pärchen sucht einen Herrenanzug für ihn.
Im Hugo Boss Special Offer Shop locken bis zu 70 Prozent Nachlass. Eine enge Holztreppe führt ins Obergeschoss, in dem sich knapp zwanzig Menschen im Weg stehen. Die wenigen Verkäuferinnen sind damit beschäftigt, die von den Ständern gerupften Klamotten wieder aufzuhängen. Eine weiße Leinenhose knittert auf dem Boden, einer ist bereits draufgetreten. „Lass uns gehen“, sagt die Frau. „Hier finden wir nichts.“
Bugatti, 12:04 Uhr
„Best men's fashion to celebrate“ lautet der Slogan. Ort der Feierlichkeiten ist ein angerumpelter Zweckbau am Rand der Outlet-Landschaft. Schweigend wühlt sich der Mann durch die Auslagen. Selbst gedruckte DIN-A4-Zettel brüllen „AKTION“ in roten Großbuchstaben. „Wo ist denn hier stark reduziert?“, tuschelt der Herr seine Dame an. Die zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nicht“, sagt sie. Er steht missmutig neben einem Kofferset aus Schweinsleder.
Eine Verkäuferin mit Strickpulli bringt einen Anzug, Marke Masterhand. Schwarz, Größe 52. „Anthrazit, haben Sie den auch in Anthrazit? Ich möchte Anthrazit“, sagt der Mann zur Verkäuferin.„Anthrazit in 52 ist aus“, bedauert sie und verschwindet hinter einem Sockenhaufen.
„52 ist aus“, sagt er zu ihr. „Ich geh noch mal oben gucken“, sagt sie. „Aber 52 ist doch aus“, sagt er. „Ich guck doch für mich“, sagt sie. „Ach so“, sagt er.
Er drückt der Verkäuferin ein Kleiderbündel in die Arme und sagt: „Wissen Sie, in dieser Art habe ich schon einen Anzug.“ Dann verlässt er den Laden.
JOOP!, 13:00 Uhr
Der Mann nimmt die Rolltreppe und passiert dabei ein Werbebanner mit einer fliederfarben gekleideten Blondine mit tiefem Dekolleté, die linke Hand in die Hüfte gestemmt, die rechte Hand im Schritt. Mit offenem Mund räkelt sie sich auf einem Sessel; darunter der Schriftzug „JOOP! Berlin. Holy Fashion Group“.
Ein Ständer Cordhosen („Special Offer“, 14,90) weckt sein Interesse. Er schiebt Hose um Hose beiseite, routiniert inzwischen. Und zieht weiter. Eine Etage höher verschwindet seine Frau in der Umkleidekabine. Er hockt in einem Ledersessel, guckt mürbe, wartet. Der Vorhang fliegt auf. Seine Frau kuschelt sich in einen hochgeschlossenen Wollpullover, zwinkert und posiert. „Was sagste?“, sagt sie. „Ach ja“, sagt er. „Dann nehm ich ihn“, sagt sie.
An der Kasse sagt der Verkäufer: „Mit dem Preis habe ich Ihnen jetzt aber mal echt was Gutes getan, oder?“ – „Immer noch teuer“, murmelt der Mann und zahlt.
Milka, 14:30 Uhr
Hinter rotem Absperrband steht eine lila Kuh und wackelt mechanisch mit Kopf und Schwanz. Die Plastikzitzen am Euter sehen aus wie riesige Fleischwürste im Naturdarm, und wenn es für einen Moment still ist, hört man das Schwanzscharnier quietschen. Die Frau greift nach einem silbernen Stahlkorb und grast das Angebot ab. „I love Milka“, acht Schokoladentafeln für 75 Cent. An der Kasse lehnt ein alter Mann. Gedankenverloren lässt er einen lila Regenschirm („Regenschirm“, 9,90 Euro) aufploppen und schließt ihn wieder. Nach dem dritten Mal hat er genug.
Puma, 14:50 Uhr
Immer noch kein Anzug.
Tchibo, 15:15 Uhr
Mann und Frau erwerben zwei rot frottierte Handtücher („Handtücher frottiert, rot“, 14,95 Euro), sammeln 35 Treuepunkte. Sie wirken erschöpft. Aber irgendwie glücklich.