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Archiv-Artikel

Schlachtensee 1 Gebenedeite Fahrerin

Nur Ja-ha, kein „Blöde Sau“ und „Blinde Kuh“

Auf der Fahrt zum S-Bahnhof bemerke ich erst im letzten Moment die Frau, die ohne zu gucken direkt vor mir vom Bürgersteig auf die Straße brettert. Scharf bremsend rufe ich „Ja-ha!“ - im Tonfall zwischen leichtem Vorwurf und Verwunderung. Kein „Blöde Sau“, kein „Blinde Kuh“, kein „Du bescheuerte vom Heiligen Zeitgeist bedeutungsschwangere Wrangelkiezschwabenmutti“, nichts dergleichen. Nur eben „Ja-ha!“.

Gewiss denkt sie gerade über schwierige Themen nach á la „Meinem Kind soll es besser gehen als anderen Kindern und es kann ihm nur besser gehen, solange es den anderen schlechter geht.“ Da kann sie nicht gleichzeitig auf feindliche Verkehrsteilnehmer achten. Die sehen schließlich, dass sie einen Warnkindersitz hinten drauf hat: „Achtung, Vorfahrt einräumen! Fahrerin ist außerordentlich gebenedeit durch die Gnade der späten Geburt, allerdings nicht ihrer eigenen.“ Dazu auf dem Kopf eine dieser Plastiknachbildungen eines Wehrmachtshelmes, wie sie unter Radlern neuerdings Mode sind. Die herkömmlichen Helme sehen zwar ebenfalls furchtbar aus, sind aber wenigstens weltanschaulich clean. Doch zu ihr passt das Teil wie angegossen: Klodeckelchen auf Kloschüsselchen.

Dieses Bild stellt sich ein, als sie mich an der nächsten Ampel keifend zur Rede stellt, der ich „Ja-ha“ zu sagen gewagt habe. Die Straße sei doch frei gewesen und ich hätte sie von weitem sehen müssen und dementsprechend selbstverständlich ausweichen. Sie habe das schon lang vor unserem Beinahezusammenstoß genau beobachtet.

Mir fehlen die Worte, die ich weiter oben noch gefunden habe. „Ja-ha“ sage ich erneut. „Du hast ja recht, natürlich hätte ich aufpassen müssen, wie dumm von mir.“ Erst später formen sich diese Zeilen, gehässig, intolerant und circa sechzig an der Zahl. Ich glaube, ich kann sie nicht leiden. ULI HANNEMANN