■ Scheibengericht: Diverse
„Mama's Hungry Eyes. A Tribute To Merle Haggard“ (Arista – Import)
„Tulare Dust. A Songwriters Tribute To Merle Haggard“ (Hightone Rec./ Semaphore)
Zurück zu den Wurzeln. Das „I Was Born The Running Kind“ glaubt man Radney Foster eher als Yearwood. Der auch in Nashville ansässige Foster entrichtet seinen „Tribute“ an Merle Haggard.
Haggard, der Mann mit den „juckenden Absätzen“ (Life), wuchs in einem umgebauten Güterwaggon auf. Im Alter von zwanzig wurde er wegen bewaffneten Raubüberfalls im kalifornischen St. Quentin, dem Knast mit dem schönsten Ausblick, eingelocht. So kam es, daß Häftling Haggard 1958 im Publikum saß, als Johnny Cash eben in St. Quentin mit seinen Konzerten für Gefängnisinsassen begann. Später entdeckte Cash im Folsom Prison den Songwriter Glen Sherley.
Auch in St. Quentin war es Neigung auf den ersten Blick. Der 1937 geborene Merle Haggard wurde das Heinz Tomato Ketchup des Country – klassisch, unverzichtbar, eben Standard. Er fing eine schwer gebeutelte, selbst durchlittene Existenz in Songs ein: Mutters hungrige Augen, den „Workin' Man's Blues“ der Armen, viele sorgfältig geleerte Whiskeyflaschen und die Knastdepression – eine „Voice of the Common Man“.
Das kleine Elend dieser beiden „Tributes To Merle Haggard“ ist wohl, daß die Interpreten von Haggards Songs nicht mehr so „common“ rüberkommen können wie das Original. Schön, aber glatt – in Abstufungen. Es wird empfohlen, mit „Tulare Dust“ zu beginnen. Da Haggard vor allem ob seiner Ehrlichkeit und Authentizität geheiligt wird, kommt „Tulare Dust“ der Ikone mit einer vorzugsweise – „A Songwriters Tribute“! – sparsamen Instrumentierung am nächsten. Vergleichen Sie nur das auf „Tulare Dust“ von Marshall Cranshaw gesungene „Silver Wings“ mit „Silver Wings“, wie es Pam Tillis vorträgt: Ist doch wie Staub und Honig, was?
An hinreichend geläufigen Namen ist jedenfalls auf beiden Samplern kein Mangel. Tom Russell, Iris DeMent und Steve Young vornehmlich mit der Akustischen – Kix Brooks & Ronny Dunn, Vince Gill, Lorrie Morgan und Willie Nelson ganz entschieden auf seiten der wheepy Steel Guitar. Der Rest ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ist der Konsument mental eher „Songwriter“ oder „Country“? Wenn man Dwight Yoakam auf „Tulare Dust“ „Holding Things Together“ singen hört, weiß man eh längst, daß die Königskinder seit ihren Anfängen miteinander verheiratet sind.
Dieser doppelte „Tribute“ ist, wie alle „Tributes“, vor allem eine symbolische und karitative „labour of love and respect“. „It is an honour to be part of a tribute to one of the greatest country singers who ever lived“, bekundet Seine Berühmtheit Randy Travis mit angemessener Bescheidenheit. Auf „Mama's Hungry Eyes“ wird für die US-amerikanische Hungerhilfe „Second Harvest“ gesammelt. Nebenbei ist ein „Tribute“ natürlich willkommener Anlaß, mal wieder konkurrenzfreie Einigkeit zu demonstrieren – für Intimfeinde, die es wegen der Nashville Community nicht gern zeigen. Dolly Parton ist nirgendwo vertreten, wohl aber Emmylou Harris.
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