■ Scheibengericht: Trisha Yearwood
„Thinkin' – About You“ (MCA)
Können kontaktlinsenblaue Augen lügen? Trisha Yearwood zählt neben Mary Chapin Carpenter, Rosanne Cash oder Kathy Mattea zu den Frauen des New Country, scheint aber im Gegensatz zu jenen sehr viel näher an Dolly Partons Seite zu sitzen. Bemerkenswert an ihrem jüngsten und vierten Album ist, daß kein einziger Song von ihr selbst geschrieben wurde. Böse Menschen werden „Thinkin' – About You“ nur aus diesem Grund für gelungen halten. Yearwood, ehemals Backgroundsängerin beim Millionenseller Garth Brooks, begnügt sich vielleicht einmal zu oft mit den ganz kleinen Geschichten. Extrem ordentlich sind Fiedel, Standbass, Orgel, akustische und Steel Guitar arrangiert, wenn sie Mittelstandsträume vom Fort- und Zurechtkommen illustrieren. Der schönste, aber auch geschlossenste Song des Albums, „All American Girl“, verhandelt die latenten Depressionen einer jungen Frau, ihre „balance between love and money“ und das Heimweh nach dem Elternhaus, wo „mama in heels and pearls“ und „daddy“ die vorbildliche Ehe führen. „All American Girl“ konfirmiert nicht nur die Brüchigkeit des amerikanischen Traums mit einem „well she's got her God and she's got good wine“, sondern offenbart die geradezu temperamentvolle Seite einer Musikerin, die von sich sagt: „Ich bin manchmal etwas konservativer als die meisten Menschen.“ So dreht sich der Song „I Wanna Go Too Far“ zwar um den Wunsch, mal etwas Ungewöhnliches zu tun, schafft das in musikalischer Hinsicht aber nicht. Und der „tank full of gas“ im schmerzensreichen Roadmovie „You Can Sleep While I Drive“ reicht wohl gerade bis ans Ortsschild. Zuviel verlangt von Yearwood und vom Country, der immer noch Familie bedeutet.
Nicht ganz ohne Nebensinn sind auf „Thinkin' – About You“ Mary Chapin Carpenter als zweite Sängerin und Marty Stuart an der Mandoline mit von der Partie. Erstaunlicherweise verkündet Trisha Yearwood, daß es im Country um „Imaginäres“ gehe. Die Art, wie sie Songs auswählt, Probleme und Gefühle interpretiert, ist jedoch komplett übersichtlich. Yearwood hat erkannt, daß Twangy-Sound wieder in Mode gekommen ist, und ihre moderaten Bekenntnisse liegen eher in der Wahl der Songautoren: einer ist James Taylor, eine andere die lesbische Melissa Etheridge. Das ist nun so mutig auch nicht, diskutiert doch schon Amerikas Äquivalent zu Bild, der National Enquirer, wer unter den Country-Damen wohl der lesbischen Liebe frönt.
Trisha Yearwood hat kürzlich geheiratet und außerdem keine Angst vor einer melodiösen Synthese aus Nashville und Hollywood. An beidem läßt sich prinzipiell nicht mäkeln. „On a Bus to St. Cloud“ jedoch trägt allein an Streichern so dick und rosa auf, daß man den Koffer in der Hand der einsamen Heldin direkt vor sich sieht. Mit „Fairytale“ und „The Restless Kind“ macht Yearwood das halbwegs wieder gut, aber irgendwie riecht das Ganze doch ein ganz klein wenig nach dem, was „Bob Roberts“ sang: „The time is changing back“. Gerade beim von Michael Henderson geschriebenen „The Restless Kind“ wirft sich Yearwood in Pose: „People get nervous/ when a woman's free/ .../ whatever it takes I do what I please“, heißt es, und dann: „I can hold my tongue/ I can hold my wine“.
Wie diszipliniert doch der Bass überkippt! Im Vergleich dazu ist Garth Brooks für den Country wie Lenin, der auf der Treppe des Petrograder Winterpalais die Revolution verkündet. Dennoch sympathisch an Trisha Yearwood und ihrer, nun ja, sehr eingängigen Musik ist, daß sie gar nicht erst vorgibt, etwas anderes zu sein, als sie nun mal ist. Aber damit wiederum backt sie ja in Nashville so große Brötchen. Einer ihrer größten Bewunderer ist Neil Young. Kann Gott irren?
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