Schäuble regiert vom Krankenbett: Unser Schmerzensmann
Finanzminister Schäuble wird seine Amtsgeschäfte für vier Wochen "vom Krankenbett" aus wahrnehmen. Toll! Aber warum muss ein 68-Jähriger sich das eigentlich noch antun?
E s ist selten, dass ein Sender wie das Deutschlandradio sich zur akustischen Illustrierung einer Nachricht der wenigen wirklich eindrucksvollen Mittel bedient, die dem Medium zu Gebote stehen. Am Dienstagabend aber war es so weit. Da wurde die knappe Meldung, dass der gesundheitlich angeschlagene Wolfgang Schäuble eine vierwöchige "Auszeit" im Krankenhaus nimmt, von einem Einspieler begleitet, der mit der eigentlichen Nachricht gar nichts zu tun hatte. Zu hören war eine aktuelle Aufnahme Wolfgang Schäubles, wie er das Energiekonzept der Bundesregierung verteidigt. Zu hören war einer, der unter Schmerzen spricht. Es ging nicht um den Inhalt der Rede, es ging um ihren brüchigen, stockenden, eben menschlichen Klang.
Am Tag danach findet sich kaum eine bürgerliche Zeitung, in der unser Bundesfinanzminister nicht dafür gelobt würde, dass er seine Amtsgeschäfte nunmehr vom Krankenbett aus weiterführen wird. Für das CDU-Hausblatt Die Welt ist Schäuble ohnehin schlicht "Der Eiserne" und wird als "unerbittlicher Mann" gewürdigt, der, Gipfel des Heldentums, diese Unerbittlichkeit "vor allem gegen sich selbst richtet". Konservative Parteigänger werden damit vertröstet, dass der Patient "dieses Manko" seiner Abwesenheit gewiss "mit noch mehr Arbeit zu kompensieren" wisse. Na, dann is ja alles gut. Vom schmuddeldummen Schwesterblatt Bild indes wird der "König der Schmerzen" dafür bewundert, dass er "dem Schmerz keine Macht" über sich zulässt, dass er "ihn ignoriert". Chefkolumnist Franz Josef Wagner gießt seine Verehrung der öffentlichen Figur Schäuble in den schönen Satz: "Ich habe ihn niemals schwach gesehen."
Im Oktober 1990 hatte ein geistig verwirrter Mann im badischen Oppenau auf Schäuble geschossen. Seitdem ist er querschnittsgelähmt. Dass ihm diese Lähmung nicht als Schwäche auszulegen ist, dafür hat der Wirtschaftsjurist aus dem Breisgau immer selbst gesorgt. Nur wenige Monate nach dem Attentat hatte er seine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen, fit hält er sich durch Sport, seine politische Präsenz auf Bundesebene ist seit 1984 ungebrochen. Unter Helmut Kohl und der ersten Regierung Merkel war er Innenminister, von 1991 bis 2000 führte er die Unionsfraktion im Bundestag, die Parteispendenaffäre nannte er "unselig", sie wird ihm so lästig gewesen sein, wie es heute seine Schmerzen sind.
Gegenüber Blättern wie der FAZ - die ihm ansonsten gerne ankreidet, dass in seiner Abwesenheit "SPD-Staatssekretäre die Arbeit machen" - glättet Schäuble in regelmäßigen Abständen die Wogen: "Ich bin fit!"
Druck gibt es also auch aus dem eigenen Lager, ein schlecht verheiltes Druckgeschwür zwingt ihn nun "in die Horizontale" (O-Ton Schäuble), und Druck macht er sich vor allem selbst. Aber muss ein 68-Jähriger, zumal er seit 20 Jahren im Rollstuhl sitzt, sich das eigentlich wirklich antun?
Er muss offenbar. Schließlich trägt er nicht zum puren Vergnügen seit Jahrzehnten sein ausgeprägt protestantisches Arbeits- und Leistungsethos wie eine Monstranz vor sich her. Und gerade jetzt, da über die kargen Hartz-IV-Bezüge des vorgeblich die Hände in den Schoß legenden Teils der Bevölkerung diskutiert wird, muss einer beispielhaft vorangehen und zeigen, was geht, wenn man nur will, egal wie unvernünftig es sein mag.
Als in der Zeit einmal der Schriftsteller Michael Kumpfmüller dem damaligen Innenminister bescheinigte: "Sie sind eine aussterbende Ethosmaschine. Ihr Ethos ist so selbstverständlich, dass Sie es gar nicht merken, Sie machen es einfach", antwortete Schäuble: "Mir hat es Spaß gemacht." Er merkt es also nicht nur nicht, er macht es nicht einfach nur - es macht ihm Spaß. Es ist ihm zur Natur geworden.
Lieber also arbeitet sich hier einer tot, als sich zu schonen. Schaut her, geht die soldatische Erzählung, hier kämpft einer, der beißt die Zähne zusammen und bleibt unerschütterlich auf dem Posten stehen, auf den die Pflicht ihn stellte. Ein solcher Märtyrer ist das ideale Vorbild, wenn nicht sogar Sinnbild für unsere feine Leistungsgesellschaft. Plemplem sind beide, und beiden sei eine gute Besserung gewünscht.
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