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SanssouciVorschlag

■ Meditative fusion-music: Jan Garbarek und das Hillard Ensemble

Läuterung. Bestimmt wird es heute abend ein paar Menschen geben, die den Berliner Dom oder die Gethsemane-Kirche mit dem Vorsatz verlassen, von nun an nur noch ihrer inneren Stimme zu gehorchen. Und zwei Konzerte des norwegische Jazz- Saxophonisten Jan Garbarek mit den vier Sängern des Hillard Ensembles werden dieses Wunder vollbracht haben. Musik zweier ganz unterschiedlicher Genres werden hier verschmolzen. Das Hillard Ensemble singt religiöse Lieder des Mittelalters und der Renaissance. Langsam und schwer breiten sich die mehrstimmigen Gesänge als schmeichelnder Klangteppich vor Jan Garbarek aus, der mit seinem weinenden Saxophon seine gefühlsbetonten Improvisationen hinzusetzt.

Vor einem Jahr stiegen die Musiker mit „Officium“ in die Klassikhitparade auf. Vorneweg Pavarotti, dahinter Pavarotti, dazwischen das religiös-improvisierte Amalgam. Ausgetüftelte Marktstrategien machen es möglich. Durch sie werden auch selbsternannte AgnostikerInnen und AtheistInnen – meist christlich sozialisiert – verführt, sich nach der heilen Kindheitswelt von früher zurückzusehnen. Daraus ergibt sich der zweite Grund für die Renaissance geistlicher Gesänge, sind doch nicht wenige dieser ZeitgenossInnen bei ihrer Sinnsuche an einem Punkt angekommen, an dem weder Philosophie noch Therapie weiterhelfen können. Bleibt im besseren Fall als Ausweg die spirituelle Musik: New Age im Unterhaltungsbereich, Gregorianische Gesänge in der E-Musik. Dazwischen liegt, was Garbarek und das Hillard-Ensemble machen: meditative „fusion-music“.

Die sphärischen Instrumentalklänge des Saxophonvirtuosen schmiegen sich an die Langsamkeit des Gesanges, anstatt dazu in Kontrast zu treten. Mit dem metallenen Klagen seines Instruments steigert er die melodische Schwerfälligkeit der Lieder und macht dadurch Entrückung erst möglich. Wo keine Ecken und Kanten mehr zu hören sind, tritt Gewöhnung ein. Dabei gab es im Namen der Auftraggeber dieser geistlichen mittelalterlichen Musik: Kreuzzüge, Inquisition, die Eroberung Amerikas und den Genozid an den IndianerInnen. Improvisation ist auch Kommentar, deshalb dürfte Garbareks Saxophonsprache all dies nicht unerwähnt lassen. Waltraud Schwab

Heute 19.30 Uhr Berliner Dom (Unter den Linden) und 22 Uhr Gehtsemane-Kirche (Gethsemanestraße 9).

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