Sanssouci: Vorschlag
■ Muttermilch zu Noten oder: Sie meinen es ernst: Hadensproß Josh mit seiner Band Spain im Knaack
So ganz weit fallen die Äpfel eben selten vom Stamm: Da erfreut man sich noch letztens an den Töchtern von Charlie Haden, jenes beliebten Jazzbassisten, der an der Seite Ornette Colemans in den Sechzigern den Free Jazz aus der Taufe hob. In der Band that dog bewiesen die, daß freier Jazz nicht das Maß für wohlerzogene Töchter sein muß, spielten eine Art intelligenten Teenage-Punkrock und verschwiegen, daß aus ihrem Stall noch jemand die musikalischen Noten mit der Muttermilch und den Vatergenen aufgenommen hatte, nämlich ihr Bruder Josh. Dieser war schon ein wenig früher als seine Schwestern eine lokale Größe, als Bassist einer Band namens Treacherous Jaywalkers, die auf SST ein paar EP's herausgebracht hat, die selbst den hartnäckigsten SST-Fans nicht unbedingt in frischester Erinnerung sind.
Vergangenheit und väterlichen Ballast schleppt Josh Haden also genug mit sich herum, was ihn nicht daran gehindert hat, mit Spain erneut eine Band zu gründen. Diese vergreift sich zuerst einmal schwer an einem ziemlich unironischen Blue-Note- Kitsch: Das Album heißt „The blue moods of Spain“, das Cover ist voller Blau und Schwarz, voller Rauch und Geschmack, und auch in Bezug auf Style und Fashion geben sich die Musiker keine Blöße. Wo da als Verarsche die Blues Mothers oder, nicht weniger lustig, der Grunge-Blues des Mudhoney-Seitenprojekts Monkeywrench in den Sinn kommen, scheinen es Josh Haden und Spain wirklich ernst zu nehmen mit dem gespielten Blue-Note-Witz: Selbst ihre Musik könnte sehr gut einen rauchgeschwängerten Keller oder zwielichtigen Nachtclub füllen.
Vordergründig werden da ruhig und gedämpft die Saiten gestimmt, die Snares gestreichelt und an den Liebesschmerz die Wörter verschwendet. An Stimmungen werden allerdings nicht nur Melancholie und Weltabgewandtheit evoziiert: Spain spielen ihre Musik mit einer Kühle, hinter der sich in erster Linie eine gewaltige Unruhe verbirgt. Unter der Oberfläche des allzu feinen Wohlklangs brodelt es enorm, sehr rauh und harsch bohrt Josh Haden in den Wunden seiner und unserer Alltäglichkeit, und manchmal erinnert er dann – nicht nur stimmlich – an Mark Etzel, dem Sänger des American Music Club, nur daß Haden Spannungen, die das Leben so mit sich bringt, viel besser als dieser aushalten und auzutarieren scheint. Mit seliger Vergangenheitsduselei und ein paar Adventslichtlein wird es also heute abend nicht getan sein. Gerrit Bartels
Josh Haden und Spain, heute abend, ab 21 Uhr, im Knaack Club, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
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