Saarland klebt am Bergbau-Erbe: Erzverbunden in die Zukunft
Das kleinste deutsche Flächenland sucht nach einer neuen Ausrichtung jenseits der Kohle. Die CDU will Zechen aber als Kulturerbe weiter nutzen – touristisch.
![](https://taz.de/picture/222099/14/STOLE23kohl.jpg)
SAARBRÜCKEN taz | Auf dem Turmgestänge zweier riesiger Fördertürme wehen zwei schwarz-rot-goldene Fahnen, eine mit dem Wappen des Saarlandes, beide auf halbmast und mit Trauerflor. Zum Gedenken an das Grubenunglück von Luisenthal, bei dem vor 50 Jahren 299 Bergleute starben, haben sich die Teilnehmer im Zechensaal der aufgelassenen Grubenanlage versammelt.
Unter ihnen führende Politiker des Landes: CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, SPD-Chef Heiko Maas, Linken-Chef und früherer SPD-Ministerpräsident Oskar Lafontaine. Nicht nur wegen des Wahlkampfs sind die Bergleute sich der Aufmerksamkeit der Politiker gewiss: Das Saarland ist bis heute von Kohle und Stahl geprägt.
Nun fällt das Gedenkjahr für die verunglückten Bergmänner zusammen mit dem für Juni terminierten Ende des Kohlebergbaus an der Saar. 1.500 Saar-Bergleute werden sukzessive ins nordrhein-westfälische Ibbenbüren verlegt, wo die den Saarkohlebergbau betreibende RAG noch aktiv ist.
Neue Arbeitsplätze jenseits des Bergbaus werden gesucht. Die seit August amtierende Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer verweist im Gespräch auf einen sich seit Jahren vollziehenden Strukturwandel, auf die Spitzenforschung der Saarbrücker Universität und auf die Autoindustrie, deren Zulieferer im aktuellen Autoboom nun wieder auf Ausbau setzen. „Das Saarland liegt vorne beim Wirtschaftswachstum, noch über dem des Bundesdurchschnitts“, betont die CDU-Vorsitzende stolz.
Deutlicher Einbruch von 0,5 Prozent
Tatsächlich stieg die Summe der in dem Land produzierten Waren und Dienstleistungen 2010 um 4,7 und 2011 um 3,6 Prozent – einen beziehungsweise einen halben Prozentpunkt stärker als die Wirtschaft in Deutschland insgesamt. Allerdings sieht die Arbeiterkammer Saarland für das laufende Jahr bereits wieder einen deutlichen Einbruch auf 0,5 Prozent.
Kramp-Karrenbauers Vorgänger Peter Müller (CDU) hatte nach der Absage an die Atomkraft den Ausbau der regenerativen Energien auf den Weg gebracht, dem auch die amtierende Ministerpräsidentin folgen will. Dabei dürfe aber die industrielle Basis nicht gefährdet werden.
Etwas anders stellt sich das die frühere Umweltministerin Simone Peter vor, die nun als Spitzenkandidatin der Grünen antritt. Während ihrer Amtszeit hatte sie einen „Masterplan Energie“ für das Saarland ausarbeiten lassen, mit dem sie die Energiewende für die heimische Wertschöpfung voranbringen und den im Vergleich zum Bundesdurchschnitt doppelt so hohen Ausstoß an CO2 massiv senken wollte. „Die Klimabelastung aus Verkehr, Industrie und Haushalten ist im Saarland sehr hoch“, sagt sie. Daher mache es „wenig Sinn, weiter auf Kohlekraftwerke zu setzen und noch mehr Straßen zu bauen, für die zudem das Geld fehle. Vielmehr müsse man den Ausbau des ÖPNV, von Fahrrad- und Fußwegen, der Elektromobilität, mehr Energieeffizienz in den energieintensiven Unternehmen, etwa der Stahlindustrie, und die Energieeinsparung in den Privathäusern fördern.
„Lebendiges Ausstellungskonzept“
Bereits ausgerufene Nullemissionsgemeinden und -landkreise sowie neue Energiegenossenschaften böten „große Chancen, die regionale Wertschöpfung und den Klimaschutz voranzubringen“. Trotzdem ist das finanziell permanent klamme Flächenland mit der Kohle noch nicht fertig. Denn beide Politikerinnen fordern auch eine ökologische Aufarbeitung und kulturelle Auseinandersetzung mit dem Ende des Bergbaus in dem demografisch schrumpfenden Bundesland.
Kramp-Karrenbauer möchte die frei werdenden Flächen über und unter Tage nach einer genauen Begutachtung sowohl als Wirtschafts- und Energieflächen der Zukunft nutzen als auch für ein „lebendiges Ausstellungskonzept“ vorsehen. In grenzüberschreitender Zusammenarbeit etwa mit dem „Carreau Wendel“ im benachbarten Lothringen sollen einige Baudenkmäler als Landmarken die Prägung des Saarlandes durch den Bergbau als Erbe sichtbar machen – ähnlich der Völklinger Hütte, die nach ihrer Stilllegung mit Ausstellungen als Unesco-Weltkulturerbe Schlagzeilen macht.
Die Grüne Simone Peter fordert neue Perspektiven für die ehemaligen Bergbauflächen und -stollen mit ökologischem Ansatz. Renaturierung und touristische sowie energetische Nutzung etwa der Abraumhalden und die Überprüfung der Schächte für geothermische oder Energiespeicheranwendungen seien hier notwendig.
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