SUSANNE LANG über DIE ANDEREN : Frau Machiavella, wir müssen reden
Nach einer fatalen Absage gibt es keinen Ausweg mehr: Frau muss an die Macht! Aber wie?
Die Revolution begann mit Sahnetorte und Eierlikör. Frau Fromm, meine Nachbarin, inspizierte gerade ihre Blumenkästen, als sie mich abfing. Sie wedelte mit einem handgroßen Pilz, der sich zwischen die Rosmarinzweige gepflanzt hatte. „Trinken Sie einen mit?!“, rief sie nur, „Sie sehen danach aus.“ Sie untertrieb gnadenlos. Ich verarbeitete eine echte Niederlage.
Hans-Ulrich Jörges hatte mir eine Absage erteilt. Der Jörges! Das Orakel der Republik. Bereits vor der Landtagswahl in NRW hatte er in seinem wöchentlichen Zwischenruf den Kanzlerplan „Neuwahlen“ prophezeit, im Ablauf allerdings ein klein wenig anders. Egal! Seither fehlt er in keiner Talkshow. Sagt allen, wo es langgeht. Und wohin aber schon gar nicht. Er hat keine Zeit für ein Gespräch, ließ seine Sekretärin ausrichten. Zu viele Interviews, die er nun ja jetzt auch mal selber führen müsse, nicht mehr nur geben könne. Wenn ich alles richtig verstanden hatte.
„Was wollten Sie denn von einem Stern-Journalisten?“, nuschelte Frau Fromm, während sie Eierlikör über die Sahne der Torte tröpfelte – die Gläser waren auf Anschlag.
„Ihm gestehen, dass ich ihn sofort wählen würde!“ Herrn Jörges überzeugen, dass er sich sofort um einen Wahlkreis kümmern müsse, damit endlich ein Macher per Direktmandat all das umsetzt, was Herr Jörges im Stern vorschreibt. Das war der Plan.
„War das Honorar zu mickrig?“, fragte Frau Fromm, während sie die Gläser wieder füllte. Ich war entsetzt. Hielt mich an den Eierlikör. „Frau Fromm!“, rief ich, „wie können Sie …“ Sie lächelte. Milde. Stand auf, schob mir eine CD unter den Sahnetortenteller. Schwarz. Mit goldener Schrift. „Machiavelli für Frauen“, Teil 1. Gelesen von Hannelore Elsner. Ich nahm noch einen Eierlikör. Gegen den flauen Magen. „Mädchen“, sagte Frau Fromm, zum ersten Mal, seit ich sie kenne, sagte sie Mädchen, „du hörst dir das an, jetzt, und morgen rufst du noch mal an, bei dem Herrn Jörges seiner Sekretärin.“ Mir war schlecht. Zeit zu gehen, als anständig erzogenes Mittelschichtskind mit der CD.
Auf dem Weg nach oben las ich den Klappentext. „Harriet Rubins Buch wendet sich an Frauen, die nicht länger von Vorgesetzten, Liebhabern oder den Eltern beim Erreichen ihrer eigenen Wünsche und Ziele abgehalten werden wollen.“ Wahnsinn! Ich steckte mein Bügeleisen an, etwas Kontemplation konnte nicht schaden.
Da sprach Elsner zu mir. 65 Minuten lang. „In diesem Buch geht es um Krieg, um die Kriege der Intimität“, säuselte sie in melodischem Singsang, die hysterisch-neurotischen Bässe im Elsner-Sound blieben ausnahmsweise stumm. „Das ist ein Brief von der Machiavella, die ich geworden bin, an die Hörerinnen.“ So ähnlich wie der Staatsphilosoph Niccolò Machiavelli im 16. Jahrhundert einen Brief an den Fürsten verfasst hat. So anders, weil die Machiavellas nicht grundsätzlich davon ausgingen, dass die Menschheit schlecht sei. „Die Fürstin ist die hilfsbereite Feindin, sie ist Liebhaberin und Kriegerin, sie ist Meisterin, Gegensätze zu verbinden.“
Ja, ja, ja, dachte ich, während ich versuchte, die eben verbügelte Falte wieder auszubügeln. Und nun? „Große Strateginnen waren immer Poetinnen, Meisterinnen der Selbsterkenntnis“, summte die Elsner, „es ist die Aufgabe der Fürstin, die intimen Feinde zu entschlüsseln.“ Und endlich: „die geheime Strategie liegt in den fünf Warums!“ Das Verhalten der anderen müsse die Fürstin und die, die es werden wolle, auf die Ursachen zurückzuführen.
Das also ist es. So also stand Merkelvella in ihrem Büro und fragte: Warum schreibt Friedrich Merz auf Bierdeckel? Warum ist der Roland Koch so still? Warum tritt der Horst Seehofer nicht leiser? Warum sieht der Christian Wulff eigentlich so süß aus? Warum stottert der Edmund Stoiber so oft?
Und schwuppdiwupp! Schon war sie an der Macht.
Warum trinkt Frau Fromm eigentlich Eierlikör?, fragte ich mich nur. „Weil er so gut zum Frauenmachtwechsel passt,“ säuselte sie am nächsten Abend, und hickste. Ich gab ihr die CD zurück.
Fragen an die Macht? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER