STREIT UM VOGELSCHUTZGEBIETE IN SCHLESWIG-HOLSTEINDie EU fordert für bedrohte Vogelarten mehr Lebensräume, die rot-grüne Landesregierung will diese ausweisen. Vor allem Landwirte fürchten deshalb um ihre Existenz. Am heftigsten ist der Konflikt auf der Halbinsel Eiderstedt : Wo die Libelle jagte
Artenschutz steht gegen Vertragsnaturschutz. Und mittendrin geht der Strukturwandel in der Landwirtschaft brutal weiteraus Husum HILDE EBEL
Der Name verspricht eine Stadt: Eiderstedt. Doch stehen die roten Backsteinhäuser der Menschen auf der Halbinsel an der Westküste Schleswig-Holsteins meist einsam zwischen windschiefen Kopfweiden oder bestenfalls in Kleinstädten wie Tönning, Garding und St. Peter-Ording. Etwa 15.000 Menschen leben hier, auf 30.000 Hektar Marschboden. Da ist viel Platz für Tiere. Wo im Sommer Bullen und Milchkühe stehen, weiden jetzt im Winter etwa 10.000 Nonnengänse. Seit Dezember stehen auf vielen Wiesen außerdem Schilder. „Grüne Politik zerstört Naturschutz und Eiderstedt“ oder „Keine Öko-Diktatur“ heißt es darauf. Landwirte protestieren gegen den Beschluss der schleswig-holsteinischen Landesregierung, Eiderstedt als Vogelschutzgebiet auszuweisen. 73 dieser besonderen Schutzgebiete gibt es bereits im Land zwischen den Meeren, elf sollen nachgemeldet werden.
Grund ist die EU-Vogelschutzrichtlinie. Danach müssen die Mitgliedstaaten für die im Anhang I der Richtlinie aufgeführten Arten besondere Schutzmaßnahmen treffen. Die Nonnengänse gehören dazu, ebenso Goldregenpfeifer, von denen jährlich im Frühjahr und Herbst einige Zehntausend auf Eiderstedt rasten. Und Trauerseeschwalben, die mit 65 Paaren in Schilf bestandenen Gräben brüten. Vor 40 Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele.
Inzwischen ist jede zweite Vogelart in Schleswig-Holstein vom Aussterben bedroht. Deshalb mahnte die EU-Kommission, als das nördlichste Bundesland die ersten 73 Flächen mit 67.200 Hektar Land- und 652.700 Meeresfläche anmeldete, dies sei nicht genug Lebensraum für die 48 dort heimischen Anhang-I-Arten. Wenn nicht schnell zusätzliche Gebiete ausgewiesen würden, drohten Bußgeldbescheide.
Unstimmigkeiten zwischen EU-Kommission und rot-grüner Landesregierung interessieren die Eiderstedter Landwirte jedoch nicht. Sie wollen Selbstbestimmung. Die Befürchtung: Wer einen neuen Stall bauen oder eine Weide umpflügen will, muss künftig langwierig prüfen lassen, ob sich dies mit dem Vogelschutz verträgt. Dabei haben die Landwirte nichts gegen Vögel, wie Hans Friedrichsen versichert: „Jeder Landwirt freut sich doch, wenn er Trauerseeschwalben in seinen Kuhlen hat.“
Friedrichsen ist Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Husum-Eiderstedt. Er ist dafür, jede Vogelart mit eigenen Maßnahmen zu unterstützen. „Kiebitze zum Beispiel gehen im Frühjahr gern auf die Maisäcker, weil der Mais erst spät wächst.“ Wo viele Kiebitze seien, könne man erst nach der Brut pflügen. Aber freiwillig. Ein Vogelschutzgebiet jedoch, das sei „eine Bürokratisierung des Naturschutzes“.
Artenschutz steht gegen Naturschutz: Ein Landwirt hat aus Protest bereits die Nisthilfen für Trauerseeschwalben aus den Kuhlen auf seinen Viehweiden entfernt. „In zehn Minuten wird hier alles zunichte gemacht, was wir in 40 Jahren aufgebaut haben“, klagt Claus Ivens, Mitglied des Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und selbst Landwirt. Damit meint er nicht nur protestierende Bauern, sondern auch die Regierung. Ivens ist gegen das Vogelschutzgebiet: „Naturschutz ist mit den Landwirten nur auf freiwilliger Basis zu machen.“
Unter Vertragsnaturschutz stehen auf Eiderstedt bereits 1.500 Hektar. Die Landwirte bekommen Prämien dafür, dass sie dort weniger Tiere weiden lassen, weniger düngen, Naturschutzmaßnahmen durchführen und das Land nicht weiter entwässern, kurz: dass sie extensiv wirtschaften. „Wir könnten auf einen Schlag 1.000 Hektar mehr für den Vertragsnaturschutz anbieten“, so Friedrichsen. Aber 2.500 Hektar seien zu wenig, meint Biologe Georg Nehls vom Nabu, der im Gegensatz zu seinem Vereinskollegen Ivens für das Vogelschutzgebiet ist.
Nehls ist in Husum, am nördlichen Rand von Eiderstedt, geboren und aufgewachsen und hat Verständnis für die Landwirte. Seiner Meinung nach kann ein Schutzgebiet ihnen Vorteile bringen: „Ohne Schutzgebiet wären hohe Prämien auf Grünland nach EU-Recht unerlaubte Subventionen. Aber wer im Vogelschutzgebiet wirtschaftet, für den gäbe es die Grünlandprämie, Ausgleichszahlungen und noch Prämien aus dem Vertragsnaturschutz obendrauf.“ Eine „Förderkulisse“ nennt er deshalb das geplante Schutzgebiet und hofft, dass es den Strukturwandel ein wenig aufhalten kann.
Gegen das Vogelschutzgebiet seien nicht die kleinen Landwirte, sondern vor allem die großen Ackerbauern. Einige Vogelschutz-Befürworter werfen diesen vor, es auf die Flächen ihrer kleinen Nachbarn abgesehen zu haben. „Wenn da nichts passiert, wird der Strukturwandel richtig brutal weitergehen. Über die Hälfte der kleinen Betriebe würde eingehen“, fürchtet Nehls.
Der grüne Umweltminister Klaus Müller will Vertragsnaturschutz statt Verordnungen. Eigentlich schreibt die EU vor, die Vogelschutzgebiete durch gesetzliche Maßnahmen zu schützen. Aber bei 30-jähriger Laufzeit der Verträge, so hofft das Umweltministerium, und wenn alle Eiderstedter Landwirte mitzögen, könnte das Land sich diesen Aufwand sparen. Müller verspricht den Landwirten für den Grundschutz eine Prämie von 77 Euro pro Hektar und Jahr. Dauergrünland darf dann nicht umbrochen und der Wasserstand nicht abgesenkt werden. Zusätzlich soll es für bestimmte Flächen Verträge über Beweidungsdichten, Düngeregelungen oder Mähtermine geben.
Bis vor 50 Jahren war die Halbinsel von der Grünlandwirtschaft geprägt, Eiderstedter Mastochsen wurden bis ins Rheinland verkauft. Doch inzwischen hat die Stallmast gegen die Weidemast gewonnen, immer mehr Betriebe rücken dem Grünland mit dem Pflug zu Leibe. Das Land wird immer stärker entwässert, die kleinen Tümpel und Gräben, wo Trauerseeschwalben und Libellen nach Insekten jagten, werden weniger.
Inzwischen ist ein Drittel Eiderstedts intensiv genutztes Ackerland, Mais und Winterraps statt malerischer grüner Wiesen. „Jeder Landwirt kann einen gewissen Prozentsatz seines Landes extensiv bewirtschaften, aber nicht alles“, sagt Friedrichsen. „So viel Geld hat der Minister nicht, dass er mit Grünlandprämien die wirtschaftliche Entwicklung aufhalten kann. Wer Milchvieh hat, braucht das nährstoffreiche Gras und muss auch mal Mais zufüttern.“ Aus Panik hätten viele Landwirte schon im Herbst „vorsorglich“ Land umbrochen.
Dahinter steckt das so genannte Verschlechterungsverbot. Danach darf im Vogelschutzgebiet weiter wie bisher gewirtschaftet werden, aber eine Veränderung, zum Beispiel das Umwandeln von Grünland in Ackerland oder ein Bauvorhaben, müsste auf seine Auswirkungen für die Vogelfauna geprüft werden. Nehls meint jedoch, man müsse „da nicht so am einzelnen Hektar kleben. Eine Verschiebemasse muss jeder Bauer haben.“ In der Praxis stellt er sich das so vor: Wenn ein Landwirt eine Weide zum Acker machen will, muss er eben an anderer Stelle den Naturschutz intensivieren.
In Niedersachsen wurde ein Kompromiss gefunden. Im Rheiderland zwischen Dollart und Ems, das ähnlich von Weidewirtschaft geprägt ist wie Eiderstedt, wurden 8.700 Hektar an die EU-Kommission gemeldet. Sie sollen Landschaftsschutzgebiet werden. Das intensiv genutzte Ackerland ist darin nicht enthalten. Zusätzlich setzt die Landesregierung auf Verträge mit den Landwirten. „Das ging nicht ohne Entgegenkommen“, sagt Peter Südbeck von der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Ökologie: „Jetzt steht aber ein großer Teil der Fläche unter Vertrag. Die Landwirte sind sehr interessiert, obwohl die Prämie nur etwa 100 Euro pro Hektar beträgt.“
Diese gilt auch als Ausgleich für mögliche Fraßschäden durch Gänse. „Ich denke, wir haben den Schutz der Vögel verbessert“, beurteilt Südbeck das neue Schutzgebiet. Doch er weiß, dass viele Landwirte anderer Meinung sind: „Die Kontakte zwischen Landwirten und Naturschützern müssen weiter gepflegt und ausgebaut werden.“
Für die Kontaktpflege haben die Schleswig-Holsteiner nur noch wenig Zeit. Wenn Karten der geplanten Vogelschutzgebiete am 2. Februar im Amtsblatt veröffentlicht werden, ist das Beteiligungsverfahren eröffnet. Landwirte, Naturschützer und andere Interessengruppen können sich zu den Vorschlägen äußern. Im Sommer wird sich dann entscheiden, auf wie vielen Hektar Eiderstedts Nonnengänse, Goldregenpfeifer und Trauerseeschwalben nach EU-Richtlinien geschützt werden.