STOIBER: VERBLÜFFENDE DISKREPANZ ZWISCHEN FORM UND INHALT : Mit unbekanntem Marschziel
Edmund Stoiber marschiert. Locker und triumphierend zugleich feierte der bayerische Ministerpräsident seinen Erfolg: 97 Prozent Zustimmung als Parteivorsitzender und niemand in Sicht, der ihm in seiner eigenen Partei noch Schwierigkeiten bereiten könnte. Vergessen scheinen die Querschüsse von Theo Waigel zur Finanz- und Horst Seehofer zur Gesundheitspolitik, mit viel Optimismus visiert Stoiber nun die Landtagswahl in Bayern am 21. September an. Dann wird die CSU wohl einen ähnlich grandiosen Erfolg einfahren wie bei den Bundestagswahlen, als sie fast 59 Prozent der Stimmen im Freistaat errang. Bayern geht es wirtschaftlich vergleichsweise gut, und die Opposition ist politisch belanglos.
Mit einem überzeugenden Wahlsieg in der Tasche wird Stoiber bald wieder auf seinen Führungsanspruch innerhalb der CDU/CSU-Opposition im Bund pochen. Noch beim Gipfeltreffen von Angela Merkel und Gerhard Schröder im Juni musste er sich ärgern, übergangen worden zu sein. Schon jetzt lässt Stoiber ungeniert die Muskeln spielen. Wie er Roland Koch zunächst vom CSU-Staatskanzleichef Erwin Huber abledern ließ, um dann zum besseren Verständnis selbst mit Attacken an der Grenze zur Unverschämtheit nachzulegen – da zeigte sich wieder jene kaltlächelnde Überheblichkeit, die einen Wesenszug des Machtpolitikers Stoiber darstellt.
Verblüffend ist aber die Diskrepanz zwischen seiner Stärke im öffentlichen Auftritt und seinem Mangel an inhaltlichem Profil. Trotz der scheinbar so heftigen Auseinandersetzung mit Roland Koch, trotz der scheinbar scharfen Attacken auf Rot-Grün wird nicht erkennbar, wo Stoiber etwa in der Frage der Steuerreform tatsächlich steht. Wie viele Schulden zur Finanzierung der Reform denn akzeptabel wären, mit welchem Mix die Kosten aufgefangen werden sollen – Antworten sucht man bei Edmund Stoiber vergeblich. Auch bei der Gesundheitsreform preist er sich zwar vollmundig als Vertreter der „Leberkäs-Etage“ und nicht der „Champagner-Etage“, was das aber genau bedeuten mag, darüber muss man einstweilen rätseln. Edmund Stoiber marschiert. Es weiß nur niemand, wohin. JÖRG SCHALLENBERG