STEUERN: WER DIE SENKUNG ERNSTHAFT WILL, RISKIERT DIE STAATSPLEITE : Lieber den halben Kirchhof als den ganzen
Die wichtigen Steuerreformer betreiben derzeit ein gefährliches Spiel. CDU-Schatten-Finanzminister Paul Kirchhof und seine Professorenkollegen gehen von der Einschätzung aus, dass Unternehmensgewinne und Kapitaleinkünfte zu hoch belastet seien. Daher die Absicht, die entsprechenden Steuern auf 25 Prozent oder weniger zu senken. Wenn sie sich durchsetzen, könnte es sein, dass die Regierenden in Bund und Ländern ein paar Probleme mehr haben werden als heute. Nicht nur Kirchhof und Joachim Lang, die die Union beraten, sondern auch der für Finanzminister Hans Eichel (SPD) tätige Wolfgang Wiegard sind sich im wichtigsten Punkt einig: Die Globalisierung habe Unternehmen und Kapitalbesitzern neue Freiheiten verschafft; um Investoren in Deutschland zu halten, müsse man sie begünstigen. Deshalb sollten Gewinn- und Kapitalsteuern sinken – zumindest in die Nähe des Niveaus, auf dem sich die ost- und westeuropäische Konkurrenten schon befinden.
Diese Argumentation lässt sich nicht von der Hand weisen. Doch muss man deshalb den Staatsbankrott riskieren? Nicht anderes wäre das Ergebnis, wenn Kirchhof eins zu eins umgesetzt würde. Heute beträgt die Körperschaftssteuer für Kapitalgesellschaften rund 38,5 Prozent. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn sie auf 25 Prozent gesenkt wird: In den Haushalten fehlen wieder ein paar Milliarden, die in der Arbeitsmarktpolitik, bei staatlichen Investitionen oder im Bildungswesen eingespart werden. Die Politik der radikalen Steuersenkung entbehrt des ökonomischen Gesamtkonzeptes. Sie liefert keine Antwort auf die Frage, wie die öffentliche Verschuldung zu senken anstatt zu erhöhen ist. Sie ignoriert die Rolle des Staates als Nachfrager und Investor.
Kirchhof muss nicht schlecht sein. Aber man sollte ihn in Maßen genießen und erst einmal mit den Teilen beginnen, die nicht so viel kosten. Die Vereinfachung des Steuersystems könnten nicht nur den Bürgern Zeit, sondern auch den Firmen Geld sparen, indem sie ein paar Berater weniger brauchen. Lieber der halbe Kirchhof als der ganze.
HANNES KOCH