STEUEREINNAHMEN: DIE KONJUNKTUR VERSCHLEIERT, WIE ARM DER STAAT IST : Blendende Milliarden
Ist Deutschland plötzlich reich? Die neueste Steuerschätzung wird zwar erst morgen publiziert, aber schon kursieren Zahlen, dass der Staat bis 2011 mit 200 Milliarden Euro zusätzlich rechnen kann. Selbst Berlin erwartet Überschüsse, obwohl das Land noch letztes Jahr beim Bundesverfassungsgericht einklagen wollte, dass es hoffnungslos überschuldet sei. Es scheint sich ein Wunder ereignet zu haben in Deutschland.
Doch Reichtum ist ein relativer Begriff. Bereits die Koalitionsdebatte um die Steuermilliarden zeigt, dass der Segen so üppig gar nicht sein kann. Noch immer wird der Mangel verwaltet. Von verstärkten Investitionen in Bildung und Forschung etwa ist gar nicht erst die Rede, obwohl Deutschland im europäischen Vergleich hinterherhinkt. Stattdessen verengt sich die Diskussion auf das bescheidene Krippen-Programm von Familienministerin von der Leyen – und selbst das wäre nur mit Mühe zu finanzieren.
Der neue Steuer-Reichtum wird so schnell verschwinden, wie er eingetreten ist. Beim nächsten Konjunkturabschwung werden sich die Schulden wieder häufen.Trotzdem wird dieses Steuerplus, wie vorübergehend auch immer, langfristige Folgen hinterlassen. Denn die Zusatzmilliarden eignen sich bestens, um die verfehlte Reform der Unternehmensteuer und die Abgeltungssteuer durchzusetzen. Schon bisher haben es die meisten Wähler brav hingenommen, dass den Großkonzernen Milliardenbeträge erlassen werden sollen. Wer nicht Finanzexperte ist, dem ist diese ganze Steuer-Arithmetik zu kompliziert. Dieses laue Desinteresse dürfte nun noch zunehmen, da die Staatseinnahmen sprudeln.
Über wie wenig Geld der Staat jedoch verfügt, zeigt sich daran, dass selbst im Boom nicht geplant ist, die Schulden nennenswert zu tilgen. Es sollen nur neue Schulden vermieden werden. Die gute Konjunktur verschleiert, wie ausgehungert der Staat schon ist. Zumal der letzte Trick verbraucht ist – einfach die Mehrwertsteuern zu erhöhen. Wenn also die Regierung wieder Kredite aufnehmen muss, wird sie letztlich Zinsen an jene Kapitalbesitzer zahlen, die früher Steuern abführten. Ein verqueres Tauschgeschäft. ULRIKE HERRMANN