STEFAN REINECKE ÜBER DAS NEUE SPD-WAHLPROGRAMM : Trau, schau, wem!
Der zweite Satz im Wahlprogramm der SPD ist unbestreitbar richtig: „Wahlversprechen werden heute skeptischer denn je betrachtet.“ Einen zentralen Beitrag zu dem bedauerlichen Misstrauen des Wahlvolks in die Verlässlichkeit der Parteien hat die SPD unter Führung von Gerhard Schröder geleistet. Nachdem Rot-Grün zur Verblüffung aller 2002 wiedergewählt worden war, diktierte dieser mit der Agenda 2010 den größten Sozialstaatsabbau der bundesdeutschen Geschichte. Im vorherigen Wahlkampf war davon nie die Rede gewesen. Verstörend war aber nicht nur der Inhalt, sondern auch der autoritäre, überfallartige Stil. Das Ganze hatte etwas von einem Coup. Seitdem herrscht eine gewisse Distanz gegenüber Versprechungen der SPD.
Die SPD, die ohnehin eine Neigung hat, an sich selbst zu leiden, tut sich schwer, ein souveränes Verhältnis zu Schröders Erbe zu entwickeln. So wird im Vorwort des Wahlprogramms 2013 Schröders Weitsicht über den grünen Klee gelobt, während im Programmteil die Trümmerlandschaft, die die Agenda 2010 hinterlassen hat – Lohndumping, Niedriglöhne, wachsende Altersarmut –, besichtigt wird. Solches „Ja, aber“ wirkt nie elegant. Für die Sozialdemokratie von heute ist es wohl der einzige gangbare Weg.
2013 verspricht die SPD viel Vernünftiges, das als Korrekturzeichen zu Schröders Text vom 14. März 2003 gelesen werden kann. Man will einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Die Reichen soll mehr Steuern zahlen. Das sind moderate Ziele: nicht kühn, nicht originell, eben sozialdemokratisch. Der Spitzensteuersatz lag unter Kohl höher als jetzt von der SPD anvisiert. Dafür haben diese Ankündigungen den Vorteil, umsetzbar und mehrheitsfähig zu sein. Sie entsprechen, wie damals auch die Agenda 2010, dem Zeitgeist.
Woher aber wissen wir, dass es Kanzler Steinbrück, ohnehin ein wankelmütiger Geist, im nächsten März nicht einfällt, dass Mindestlohn und Reichensteuer doch keine so guten Ideen sind? Wir wissen es nicht. Ein leitender Gewerkschaftsfunktionär, treuer SPD-Genosse seit 50 Jahren, hat es kürzlich so formuliert: Man kann hoffen, dass eine rot-grüne Regierung es diesmal besser macht – vertrauen kann man darauf nicht.