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Archiv-Artikel

SRI LANKA NACH DER FLUT: KLEINE CHANCE FÜR EINEN FRIEDEN Pietät der Befreiungstiger

Die Katastrophe als Chance für die nationale Versöhnung – keine Zeitung, die nicht täglich Kommentare unter diesem Motto veröffentlichte, fast kein Politiker, der nicht den Wunsch nach baldigem Frieden verkündete. Allerdings bleibt es bisher bei schönen Worten. Dass der Wunsch von UN-Generalsekretär Kofi Annan, auch die betroffenen Gebiete im Herrschaftsbereich der Befreiungstiger (LTTE) zu besuchen, von der Regierung nicht erfüllt wurde, deutet die Führung der LTTE als unfreundliche Geste. Annan hätte sich überzeugen können, dass die Effizienz der straff organisierten Rebellen bei den Bergungs- und Aufräumungsarbeiten ebenso wie die schnelle Verteilung der Hilfsgüter in krassem Gegensatz zum Chaos in vielen Flüchtlingszentren des Südens steht.

Präsidentin Chandrika Kumaratunga bewies wenig Feingefühl, als sie bei ihrer Rückkehr aus London einen Tag nach dem Tsunami erklärte, die nationale Katastrophe habe die Kriegsgefahr gebannt, denn die LTTE sei jetzt militärisch geschwächt. Das ist nicht nur eine gefährliche Fehleinschätzung der Kampfkraft der Rebellen, sondern auch ein beunruhigendes Signal für die bevorstehenden Friedensverhandlungen, die den fast dreijährigen Waffenstillstand in eine dauerhafte Autonomieregelung überführen sollen. Jetzt zeigt sich, dass die Präsidentin Gefangene ihrer eigenen Regierung ist. Der kleine Koalitionspartner JVP, der sich auf das ländliche Proletariat im Süden und nationalistische Singhalesen stützt, lehnt jede Autonomieregelung ab.

Selten hat die LTTE so viel internationale Aufmerksamkeit bekommen. Vertreter von NGOs und Journalisten geben einander in Kilinochchi die Klinke in die Hand und bekommen nicht nur gezeigt, was Kofi Annan nicht sehen durfte. Sie treffen auch politische Führer der Tiger, die nachvollziehbare Argumente präsentieren und die Hand der Versöhnung nach Colombo ausstrecken. Sie klingen heute wesentlich friedlicher als vor der Flut. Ob der Tsunami allerdings mehr als eine pietätvolle Verlängerung des Waffenstillstands bringt, ist noch offen. RALF LEONHARD