SPRACHLICHE VIELFALT : Verbotener Dialekt
Vielfalt, vor allem kulturelle, gilt vielen als Wert an sich. Sprachliche Vielfalt hingegen wird erstaunlich wenig wichtig genommen, was auch in Berlin zu beobachten ist: Die Werbewirtschaft drückt immer mehr Anglizismen in die Alltagssprache, und der Berliner Dialekt wird immer weiter an den Stadtrand und ins Umland gedrängt. Den Westberliner Bildungsbürgern und den vielen Zuzüglern gilt er als prollig und provinziell, mindestens aber als schnoddrig. Was man dagegen machen kann? Berlinern, was das Zeug hält!
Icke jedenfalls bemühe mich um Berliner Sprachpflege – auch wenn ich natürlich den Gang der Sprachentwicklung nicht aufhalten kann. Neulich habe ich mich bei einem Bäcker beschwert, der Pfannkuchen als „Berliner“ bezeichnete. „Ick ess’ mir doch nich selbst“, begründete ich meinen Unmut. „Recht hamse“, sagte die Verkäuferin, „aba meen Chef will dit so.“
Später war ich mit meiner dreijährigen Tochter in einem Westberliner Krankenhaus – nichts Schlimmes, eine Routine-OP an den Ohren. Alles war schick und sauber, das Personal kompetent und freundlich und das Essen akzeptabel, obwohl es zu wenig frisches Obst und Gemüse gab. Aber irgendwie fühlte ich mich fremd: Es wurde nicht berlinert! Alle Angestellten sprachen Hochdeutsch, manche mit süddeutschem Akzent. Wo, dachte ich, soll denn sonst noch berlinert werden, wenn nicht im Krankenhaus oder auf der Baustelle oder in der Eckkneipe?
Am Tag der Entlassung kam eine Krankenschwester ins Zimmer, die ich zuvor nicht gesehen hatte. „Könnse mal Platz machen, ick muss mal an dit Fenster ran?“, rief die Mittvierzigerin, während sie mich schon zur Seite schob. „Aber jerne doch“, antwortete ich hoch erfreut. „Endlich mal eene hier, die berlinert!“ Sie sah mich entsetzt an: „Wirklich, habe ich das? Das darf ich doch nicht, das hat die Leitung verboten.“ RICHARD ROTHER