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Archiv-Artikel

SPORTPLATZ Superlauf am Sommerabend

SELBSTVERSUCH Bei der 21. Citynacht rannten und fuhren mehr als 10.000 Läufer, 700 Inlineskater und Rollstuhlfahrer den Ku’damm hoch und runter. Mein Mitbewohner und ich gehörten zu ihnen

„Optimale Bedingungen, oder was meinst du?“, frage ich M., als wir mit den Rad in Richtung Charlottenburg fahren. Die Sonne neigt sich langsam gen Horizont, angenehme 25 Grad und ein wenig Fahrtwind umgeben uns. „Klar, das wird super“, sagt er. Wir sind beide topmotiviert – wir wollen neue Bestzeit über 10 Kilometer laufen. Logisch, warum tritt man sonst an? Olympia tut sein Übriges: Wenn die ganze Welt im Rekordrausch ist, will man wenigstens auch ein paar persönliche Rekorde knacken.

Am Kranzler-Eck angekommen, ist dort schon die Hölle los. Läufer und Skater, wohin das Auge reicht. Die neonorangefarbenen Teilnehmer-Shirts beherrschen das Straßenbild. Hier, zwischen Ku’damm und Kantstraße, spielt sich das Geschehen der Berliner Citynacht ab. Die Laufveranstaltung mit dem Hauptrennen über 10 Kilometer (zudem ein Rennen über 5 Kilometer, ein Inliner- und ein Rollirennen) erlebt in diesem Jahr seine 21. Auflage. 50.000 Zuschauer sind gekommen.

Die neue Läufermode

M. und ich klemmen uns die Startnummer an, ziehen den Laufdress über und blicken auf die Uhr: 18.30 Uhr, noch zwei Stunden bis zum Start. Wir treffen uns mit Freunden und betrachten die Läufermode: Kompressionsstrümpfe sind im Kommen, ebenfalls in Neon, außerdem Pink, Grün und Gelb. Hunderte machen sich warm. Ab 20 Uhr widmen auch wir uns dem Warm-up, laufen ein paar Runden am Los-Angeles-Platz. Gegen 20.15 Uhr geht’s in den Startbereich.

20.30 Uhr: Los geht’s. Die Stimmung an der Strecke ist gut, das Gejohle pusht, wenn man unterwegs ist. Nur der Rhythmus der Samba-Trommler ist auf Dauer etwas eintönig. M. und ich kommen gut aus den Startlöchern, bis Kilometer 5 haben wir keine Probleme. Warm ist es immer noch, wir rennen durch die Duschen, die an der Strecke für die Läufer aufgebaut sind. Eine schöne Abkühlung.

Ab Kilometer 6 tut es weh. Lunge und Oberschenkelmuskulatur melden sich. Rennradfahrer Jens Voigt sagt in solchen Situationen immer: „Shut up, legs.“ Das versuche ich den meinen nun auch mitzuteilen. M. bleibt ein bisschen zurück. Bei 7 Kilometern sehe ich auf der Gegenbahn den Führenden, der kurz vorm Ziel ist. Wow. Schlechte Musik dröhnt aus dem Streckenwagen.

Noch 2 Kilometer. Irgendwie das Tempo durchhalten. Einfach laufen. Nicht denken. Und tatsächlich, es geht noch was. Im Ziel angekommen, bin ich knapp unter 38 Minuten. Bestens. M. kommt wenig später, bleibt unter 39 Minuten. Wir sind beide topzufrieden.

Puh. Weizenbier, dann fort von hier, lautet nun die Devise. Es ist einfach ein bisschen zu voll mittlerweile, und ein bisschen zu viel Schweiß liegt auch in der Luft. Wir schauen noch schnell auf die Siegerlisten. Gewonnen hat bei den Männern zum dritten Mal in Folge Musa Roba-Kinkal in 30:05 Minuten. Bei den Frauen gab es sogar einen neuen Streckenrekord: Fate Tola gewann in 32:19. Und bei den Rollis gewannen Gudrun Müller und Wilfried Bertram zeitgleich in 34:48 Minuten.

Während ich noch ein wenig im Zielbereich herumstehe, weiß ich auch wieder, was ich am Laufen so geil finde: Neben mir stehen ein Achtzigjähriger, außerdem ein Kind, das stolz ist, seine fünf Kilometer geschafft zu haben, und ein Mädchen mit Downsyndrom, das im selben Rennen dabei war. So soll es sein.

JENS UTHOFF