SPORTPLATZ : Fußball erst nach dem Bürgerkrieg
FRAUENFUSSBALL Abseits der großen WM bietet „Discover Football“ Selbstbewusstsein
Kicken kann jede. Nein, ganz so einfach ist die Sache nun auch wieder nicht. Denn vor allem wenn Frauen Fußball spielen, scheint das ziemlich viel mit Politik zu tun zu haben. Das jedenfalls hat das Fußballturnier „Discover Football“ („Entdecke Fußball“) bewiesen, das im Rahmen des Kulturprogramms der Frauenfußball-WM am Wochenende im Kreuzberger Willy-Kressmann-Stadion ausgespielt wurde.
Sieben Teams aus vier Kontinenten haben daran teilgenommen. Dazu kam noch eine deutsche Auswahl aus Berlin/Brandenburg. Was Fußball alles bedeuten kann und vor allem welche Wirkung diese Sportart entfaltet, haben die jungen Kickerinnen aus Brasilien, Ruanda, Kamerun, Togo, Frankreich, Jordanien/Israel und Indien in ihren Heimatländern bereits entdecken können. Sie kommen aus Regionen, die bei den „großen“ Frauenturnieren meistens fehlen. „Wir geben diesen Fußballerinnen eine gemeinsame Bühne, die ihnen im offiziellen Fußball oft nicht gewährt wird“, benennt Valerie Assmann vom Projektteam ein Ziel des Turniers.
Zum Anpfiff vor einer Woche sorgten zunächst jene Spielerinnen für Schlagzeilen, die im Willy-Kressmann-Stadion gar nicht auflaufen konnten. Das Team aus Afghanistan etwa. Trotz offizieller Einladung trat es die Reise nach Berlin dann doch nicht an. Oder die drei Spielerinnen aus den palästinensischen Gebieten vom Team Mifalot Hinuch. Sie fehlten am Flughafen in Tel Aviv. Ihr Umfeld habe die Spielerinnen so stark unter Druck gesetzt, dass das Trio lieber daheim blieb, hieß es. Mifalot Hinuch trat deshalb in Kreuzberg als ein jordanisch-israelisches Team an, was in dieser Konstellation schon außergewöhnlich war.
„Fußball ist für mich Emanzipation“, sagte Melanie Nkongho auf der Tribüne des Kreuzberger Stadions Mitte der Woche, als das Wetter noch herrlich sonnig war. Und vielleicht dachte sie in diesem Augenblick gerade an die Spielerinnen, die in Kreuzberg nicht dabei waren. Das Team von Melanie Nkongho stammt aus Mamfe, einer Kleinstadt im Südwesten von Kamerun. Die Auswahl ist dort Teil eines Projekts, das sich für die Stärkung und Förderung von Frauen einsetzt und junge Mädchen über Aids aufklärt. „In der Freizeit spielen wir alle unheimlich gerne Fußball“, sagte die 19-jährige Stürmerin. Das ist in Mamfe immer noch eine komplizierte Angelegenheit: Die Kickerinnen haben keinen richtigen Fußballplatz, keine Fußballschuhe und keinen vernünftigen Ball. „Wir spielen barfuß, fast immer woanders, und nach spätestens einer Woche ist der Ball kaputt“, berichtet Nchangnwi Modester, die Verteidigerin des Teams. Dass die jungen Frauen überhaupt Fußball spielen können, haben sie sich mühsam erkämpfen müssen. „Vor allem gegen den Widerstand der Männer. Jetzt unterstützen sie uns und schauen begeistert zu“, sagt Modester.
Ähnliche Erfahrungen machte das Team von Esperance. Die fußballerisch sehr versierte Auswahl aus Ruanda erreichte das „Discover Football“-Finale gegen Estrela Sports aus Rio/Brasilien. „In Ruanda konnten wir erst wieder Fußball spielen, als der von Männern angezettelte Bürgerkrieg beendet war. Jetzt haben wir in der Regierung mehr Frauen als ihr in Deutschland, und der Frauenfußball wird stark gefördert“, erklärt die ruandische Mittelfeldspielerin und Studentin Noella selbstbewusst den sportpolitischen Wandel in ihrer Heimat. Die Kickerinnen von Esperance setzen sich in dem wirtschaftlich aufstrebenden zentralafrikanischen Land für Geschlechtergerechtigkeit ein.
TORSTEN HASELBAUER