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Archiv-Artikel

„SPIEGEL“-ANZEIGEN, ARD-SPRACH, „EXTRA3“, BORIS BECKER Bitte diesen Text langsam im Hirn mal so rumzudingsen!

Hallo, taz-Medienredaktion, oh, oh, oh, da wird es ein paar feuchte Laken gegeben haben, Montagnacht. Die Akademie für Publizistik hatte zu ihrem 400-jährigen, nein, Verzeihung, 40-jährigen Bestehen geladen und die überaus musikalischen, bildschönen Damen vom „Salut Salon“ für die Unterhaltung engagiert. Und weil Klassik für sich genommen ja manchmal etwas dröge ist, peppen die Damen, die schon in Chile und Schanghai für Begeisterung sorgten, ihr Programm gekonnt auf und fideln einander an der Harfe bzw. an der Violine. Auch flöten sie sich gegenseitig lustig ins Holz und machen so dies und das kreuz und quer. Es dürfte nicht ihr letzter Auftritt bei einem Medienevent gewesen sein. Ich wette, diverse Herren lassen gestern früh ihre Sekretärin nach den Konditionen fragen …

Aber auch an anderer Stelle geht wieder was. Bei den Verlagen nämlich. Der Aufschwung ist da und kommt sogar in den Anzeigenabteilungen an. Woher ich das weiß? Mon Chérie, die Piemont-Kirsche, wird im Spiegel beworben. Zielgruppennah. Dass aber nicht alles wie vorher ist und dass nun auch eine Führungsposition, statt mit dem Geld um sich zu werfen, mal Hand anlegen muss und das Vogelhäuschen selbst zusammenschrauben, darauf deutet die Anzeige der Heimwerkerpostille Selber machen, auch im Spiegel. Ja, man muss wissen, wo seine Käufer zu finden sind.

Wundern darf man sich auch anderweitig, wir bleiben bei Männern. Bei der Spiegel-Zielgruppe. Den Führungskräften. „Talk ist geil im Fernsehen, die Leute mögen das“, sagte unlängst Volker Herres, ARD-Programmdirektor, und man muss sich fragen, was das für Sprach ist. „Talk ist geil im Fernsehen.“ Ich bitte, diesen Satz langsam im Hirn mal so rumzudingsen. Das ist fast wie mit Bahn fahren. Oder auf Arbeit. Unabhängig davon, dass es als altmodisch gelten mag, „geil“ im Sinne seiner Bedeutung zu verwenden, frage ich mich, was an Talk geil ist. Klar ist, die ARD ist ein geiler Sender, Tom Buhrow ein geiler Moderator. Aber Talk ist geil? Im Fernsehen? Ich finde, Talk ist eine Menge. Aber nicht geil.

Auch nicht geil, sondern sehr schockierend ist das Ergebnis einer Befragung, die die Kollegen von „extra3“ im Bundestag durchgeführt haben. „extra3“, das sei vorausgeschickt, ist eine Sendung, die in Volker Herres’ ARD läuft, genauer: beim NDR. „Gibt es in Deutschland ein Atomendlager?“, war die Frage, mit der Abgeordnete belästigt wurden. Ja, und was soll man sagen? So genau wusste das keiner. Einer war sich nicht mal sicher, ob es nicht in seinem Wahlkreis eines gäbe.

Und was folgern wir daraus? „extra3“ ins Erste! 20.15 Uhr. Zack, zack, zack! Scheiß auf den Winzerkönig. „extra3“ ist geil im Fernsehen.

Geil sein möchte ja auch Boris Becker, und damit seine „Fans“ noch mehr von ihm haben, hat er jetzt boris-becker.tv ein wenig aufgemöbelt. Ehrlich gesagt, ich könnte mich in den Arsch beißen. Dass mir das bisher entgangen ist! „Oh, Leckerste, bin ich fertig!“ ist der Satz, mit dem Boris den „Wochenrückblick mit Boris und Lilly“ eröffnet, und auf diesem Niveau geht es weiter. Darf man als Berichterstattende auch mal die Zurückhaltung verlieren? Ich beschließe: Ja, ich darf. Mann, ist das großartig! Ich nehme meine Lobhudelei über „extra3“ zurück. Was ist das gegen diese Realsatire?! Deutscher Fernseh-Grimme-Comedy-Sonstwaspreis, sofort!!! „Weißt du eigentlich, dass ich lang nicht mehr die Bunte gesprochen habe?“ Herres hat doch recht. Talk ist geil im Fernsehen. Zumindest, wenn einer seine Strunzdämlichkeit so bereitwillig enthüllt. Voll bobbelig zurück nach Berlin!

DIE KRIEGSREPORTERIN SILKE BURMESTER berichtet jeden Mittwoch von der MEDIENFRONT Feldpost? Mail an kriegsreporterin@taz.de