SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Die Meinung des Maschi- nengewehrs
Henryk M. Broder hat Ende 2011 eine E-Mail des damaligen Radio-Fritz-Moderators Ken Jebsen veröffentlicht und ihn als Antisemiten bezeichnet. Jebsen schrieb dort unter anderem: „ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat“ (Schreibung wie im Original). Schließlich feuerte der RBB Jebsen. Statt Dankesbriefe dafür zu erhalten, dass einer, der den Holocaust als PR-Gag sieht, nicht mehr über den Äther kommt, hagelte es antisemitische Hassmails – gegen Broder.
Ausgerechnet Jürgen Elsässer, der iranische Oppositionelle als „Strichjungen des Finanzkapitals“ bezeichnete, hat nun Jebsen für die April-Ausgabe des Magazins Compact („Political Correctness – das Ende der Meinungsfreiheit“) an Land gezogen. Jebsen, das „rhetorische Maschinengewehr“ (Elsässer), habe zwar beim RBB nicht unterschreiben müssen, „unbedingte“ Solidarität mit Israel zu üben, heißt es auf der Website. Trotzdem scheine das Diktum zu gelten. Deutsche Medien stehen also unter israelischer Kuratel?
Der frühere Linke Elsässer bestätigt damit Broders These, derzufolge der neue Antisemitismus in linken Traditionen wurzelt („Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage“, Knaus Verlag 2012). Von Entebbe über die Gaza-Flotilla, vom Boykott israelischer Waren und Wortklaubereien über Ahmadinedschads Vernichtungsfantasien – wollte er Israel nun „auslöschen“ oder „Geschichte werden lassen“? – bis hin zu Jebsen: Die deutsche Traditionslinke denkt so obsessiv an Israel und die Juden „wie ein Bulimiker ans Essen“ (Broder). Und sie muss. Denn sie hat aus der Geschichte gelernt. Das „Nie wieder!“, das für Auschwitz galt, gilt nun für die israelische Siedlungspolitik. Voller Leidenschaft wird da gemaßregelt, während man bei Iran oder Syrien die Augen zudrückt. Für Broder heißt das: Der neue Antisemitismus existiert nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Wir Deutschen jedenfalls werden nicht müde, an Auschwitz zu erinnern, während wir an Israel denken. Aber eine Homs-Flotilla, Hilfen für iranische Oppositionelle? Für die deutsche Linke undenkbar.
■ Die Autorin ist taz-Kulturredakteurin Foto: privat