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Archiv-Artikel

SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Die Angst vor dem Fleisch

Frauenfleisch kurbelt den Konsum an. Die Werbung setzt darauf: Ein tiefes Dekolleté wirbt für Autos, ein roter Mund für Sekt. Nun sollen Frauenkörper auch für den Verzicht auf Fleisch werben. Die Tierschutzorganisation Peta ist berüchtigt für ihre Kampagnen mit blutbesudelten Nackten oder als Schlachtvieh ausgestellten Models. Im neuen Werbeclip „Boyfriend went vegan“ – auf YouTube ab 18 – humpelt eine halbnackte Schönheit die Straße hinunter. Sie trägt eine Halskrause, weil ihr Freund, ein Veganer, sie im Bett hart rangenommen hat – und sie will mehr.

Aufregung wegen Gewaltverherrlichung? Oder Sexismus? Fehlanzeige. Schließlich wirbt Peta dagegen, dass ein ganzes System sich Fleisch gefügig macht, es sich einverleibt, warenförmig und konsumierbar macht. Für das bloße Frauenfleisch, wie Peta es präsentiert, makellos und zu haben, scheint dies allerdings nicht zu gelten.

Die Bloggerin Laurie Penny erklärt, wie ein „patriarchaler Kapitalismus“ diese warenförmigen weiblichen Normkörper produziert („Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus“, Edition Nautilus 2012). Die cleanen Bilder erzeugen eine Abscheu vor dem ungezähmten Fleisch. So werden Frauenkörper kontrollierbar. „Der Kapitalismus brandmarkt die Körper“, so Penny. Als ehemalige Anorektikerin weiß sie, was es heißt, sich selbst zu disziplinieren. Sich zu verzehren. Bis kein Fleisch mehr da ist.

Die Kehrseite des immer präsenten Frauenkörpers ist, dass Frauen ansonsten nicht verfügbar sein dürfen. Nicht hungrig zu sein ist existenziell in einem System, dass auf die Gratisressource Reproduktion setzt. Nicht hungrig auf Teilhabe. Nicht auf Sex. Nicht auf Macht. Bloß keinen Raum einnehmen.

Der Triumph, freiwillig zu hungern, ist, wie Penny schreibt, bis heute die größte Niederlage des Feminismus. Dagegen muss es heißen: Bleibt hungrig!

■ Sonja Vogel ist ständige Mitarbeiterin der taz-Kulturredaktion