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Archiv-Artikel

SOLL ICH MICH DEM FLUGLÄRM GEGENÜBER AUFGESCHLOSSENER ZEIGEN, OBWOHL ICH DAS FLIEGEN PERSÖNLICH ABLEHNE? SOLLTE ICH KÜNFTIG RICHTIG VIEL FLIEGEN, DAMIT ICH PSYCHISCH BESSER DAMIT KLARKOMME? Wo der Hase im Pfeffer liegt

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Ich wohne unter dem Dach und wenn im Sommerferien-August wieder die Nacht für den Flugverkehr freigegeben wird, ausnahmsweise, einmal, zweimal, dreiundvierzigmal, dann liege ich manchmal in meinem Bett und verzweifle. Niemand, der nicht so wohnt, dass ein Flugzeug direkt über seinem Kopf in den Landeanflug hinuntersteigt, kann das nachempfinden. Niemand, der genau hier zu dieser Zeit in diesem Bett liegt und immer wieder von diesem unerträglichen Lärm wachgehalten wird, kann das verstehen. Deshalb lächeln auch manche, wenn ich davon erzähle und manche glauben, ich wäre neurotisch und hypersensibel.

Das bin ich vielleicht, aber die, die sich da lustig machen, die würden genauso wach hier liegen und sich quälen, aber sie sind nicht empathisch. Sie glauben, dass wenn sie ein Problem nicht haben, dieses Problem nur in der Einbildung existiert, nämlich in meiner. Weil ich aber von mir auf andere schließen kann, verstehe ich die Leute, die zum Beispiel in dreihundert Meter Entfernung von einem Windkraftwerk wohnen und behaupten, sie würden davon krank.

„Wie Wilstedter Anwohner lernen sollen, das Windkraftwerk zu lieben“, heißt es in einem Kommentar einer Anwohnerin auf der Internetseite www.windwahn.de. Ein bisschen liest sich so auch das Fazit einer Studie, die die Deutsche Bundesstiftung Umwelt an die Umweltpsychologen der Universität Halle in Auftrag gegeben hat. Der Ort Wilstedt im Landkreis Rotenburg (Wümme) ist nämlich unmittelbarer Nachbar eines Windkraftwerkes und klagt über gesundheitliche Beeinträchtigungen seiner Einwohner. So ein Windkraftwerk lärmt nämlich immer, so wie der Verkehr auf der Autobahn, der lässt sich auch nicht abstellen, und wenn einer sein Haus da stehen hat, dann rauscht es von morgens bis morgens, da kann man nichts gegen machen, als die Fenster zu dämmen und sich abzufinden. Das sollen auch die Wilstedter, meinen die Umweltpsychologen, sich abfinden, dann würden sie vermutlich auch nicht krank. Denn wer sich daran stört, wird eher krank, sagen sie. Auch auf mich trifft das sicherlich zu. Wenn mich der nächtliche Fluglärm stört, dann werde ich eher krank, als wenn er mich nicht stört. Bin ich also selber schuld? Soll ich mich dem Fluglärm gegenüber aufgeschlossener zeigen, freundlicher, ihn in mein Herz lassen und das, obwohl ich das Fliegen persönlich ablehne und gar nicht selber fliege? Liegt da vielleicht der Hase im Pfeffer begraben? Sollte ich besser richtig viel fliegen und ein freundliches Verhältnis dazu entwickeln, damit ich psychisch besser mit dem Fluglärm klarkomme? Ich ahne, das könnte die Lösung sein. Auch mit den Abgasen könnten ich und meine Atemwege besser klarkommen, wenn ich nicht so viel Rad fahren würde, sondern mehr Auto. Ich muss nur die Abgase zu meinem Freund machen. So geht das, oder?

Aber – Windkraft ist, im Gegensatz zu den Abgasen und dem Fliegen, schon was nicht ganz Schlechtes. Es wäre freilich besser, wenn wir gar keinen Strom bräuchten, dann bräuchten wir auch keine krankmachenden Kraftwerke mehr. Aber Steinkohle oder Erdöl sind noch viel schlimmer, aus umweltpolitischer Sicht, und wenn wir alternative Energien haben wollen, dann müssen wir sie auch ertragen, die Windkraftwerke. Und dann ist es vielleicht auch besser, ein ganzes Feld vollzubauen, als auf jedem einzelnen Feld einen einzelnen Betonpfahl zu pflanzen. Besser als eine norddeutsche Landschaft, die keinen einzigen freien Ausblick auf eine pfahlfreie Landschaft mehr hat.

Die meisten Wilstedter hätten sich inzwischen an den Windpark gewöhnt, heißt es in der Studie weiter. Und dass es ratsam wäre, künftig die Einwohner eines Ortes in die Planung eines solchen Windkraftwerks einzubeziehen, weil sie diesem dann möglicherweise positiver gegenüberständen. Diese Erkenntnis scheint mir revolutionär. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.