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Archiv-Artikel

SHEILA MYSOREKAR POLITIK VON UNTEN Allein im Blockflötenkreis

Als Kind war ich eine kleine Minderheit. Heute sind wir MiMiMis eine große. Aber ändert das was?

Durchschnitt zu sein, ist was Wundervolles. Das sage ich, weil ich einen Großteil meines Lebens aus der Menge herausstach wie der Papst auf einem Metal-Konzert. In meiner Grundschulklasse war ich die einzige „Ausländerin“. So wurde das genannt, bevor wir MiMiMis wurden – Mitbürger mit Migrationshintergrund. Ich war die Einzige im Schwimmverein, die Einzige im Blockflötenkreis, und hätte ich bei einer kriminellen Mädchengang mitgemacht, wäre ich auch bestimmt die einzige Nichtblondine gewesen. Rheinische Großstädte waren in meiner Kindheit ethnisch noch recht homogen. Ich war als einzige Inderin ganz allein für mich eine Minderheit. Wenn ich mich in der Schule schlecht benahm, brachte ich gleich einen ganzen Subkontinent in Verruf.

Jetzt ist das völlig anders. Fast die Hälfte aller Großstadtkinder in Deutschland stammt aus Familien mit Migrationshintergrund. 46 Prozent der Minderjährigen in Städten mit mehr als einer halben Million Einwohner haben ausländische Wurzeln, hat das Statistische Bundesamt in Wiesbaden in seinem neuen Mikrozensus festgestellt.

Für meine Tochter ist das völlig selbstverständlich. Sie hat indisch-deutsch-argentinische Wurzeln, aber in ihrer Schule ist multiethnisch zu sein die neue Normalität.

Außerhalb der Großstädte, auf dem Land, sieht die Lage jedoch anders aus, auch heute noch. Ein Freund von mir, 25, mit nordafrikanischem Hintergrund, ist in einem kleinen Ort in Südwestfalen aufgewachsen. Seine Erzählungen – als einziger nichtweißer Schüler der Klasse, einziger in der örtlichen Musikkapelle – klingen auf deprimierende Weise genauso wie die von schwarzen Deutschen in den Großstädten vor 20 Jahren.

Aber selbst wenn sich die demografische Tendenz auch auf dem Land durchsetzt, ist Diskriminierung dennoch kein Thema, das sich mit der Geburtenstatistik von selbst erledigt. Das Problem ist: Gesellschaftliche Stellung ist nicht über Zahlenproporz geregelt. Sarrazins Albtraum vom „Geburten-Dschihad“, in dem sich die Ausländer in Deutschland siegreich nach vorn gebären, sagt nichts über strukturelle Benachteiligung aus. Die reine Masse hilft dem Einzelnen aus der Isolation, ändert jedoch nichts an der gesellschaftlichen Realität von ethnischen Minderheiten. Männliche Machtstrukturen gibt es, obwohl mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung Frauen sind.

Aber in jedem Fall ist es erfreulich, wenn deutsche Kinder mit afrikanischen oder asiatischen Eltern nicht mehr allein ganze Kontinente repräsentieren müssen. Dann kann man sich zumindest ohne schlechtes Gewissen danebenbenehmen.

Die Autorin ist Journalistin und in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Foto: F. Bagdu