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Archiv-Artikel

SCHRÖDERS NEUE OSTPOLITIK NUTZT PUTINS NEUER WESTPOLITIK Meister des Anbiederns

Anbiedern lohnt sich also doch – so könnte man das Treffen von Schröder und Putin zusammenfassen. Stets hat sich der Kanzler geweigert, den russischen Präsidenten zu kritisieren. Stattdessen nannte er seinen Freund lieber einen „lupenreinen Demokraten“. Diese Politik der geneigten Hingabe scheint sich nun auszuzahlen: Putin war so gnädig, bei seinem Deutschlandbesuch „Weihnachtsgeschenke“ mitzubringen. Über Tschetschenien ist er genauso bereit zu reden wie über die Ukraine oder die Pressefreiheit. Außerdem, welch Freude für Finanzminister Eichel, werden die russischen Schulden teilweise zurückgezahlt.

Schröder sieht sich gern als einen Enkel von Willy Brandt – und war damit bisher recht allein. Doch nun könnten es auch andere glauben: Zum zweiten Mal scheint sich ein SPD-Kanzler weltweit zu profilieren, indem er eine ganz eigene Entspannungspolitik betreibt. Was als „Schmusekurs“ diffamiert wurde, so eine mögliche Neudeutung, war tatsächlich raffinierte Diplomatie.

Schön wär’s. Denn bisher war höchstens Putin raffiniert. Er hat als Weihnachtspräsent verpackt, was gar nicht mehr zu verschenken war. Die Ukraine ist längst ein PR-Desaster; friedlichen Demonstranten in Kiew ist es gelungen, Putins Allmachtsfantasien lächerlich zu machen. Auch Tschetschenien kann sich der Präsident nicht mehr leisten: Die russische Bevölkerung ist inzwischen mehrheitlich gegen den Krieg, stattdessen will man Wohlstand sehen. Und schließlich die Schulden, die Putin zurückzahlen will: Im Tausch konnte er erneut durchsetzen, dass die Zerschlagung von Yukos als „internes Problem Russlands“ gilt.

So bleibt als einziges interessantes Zugeständnis, dass der Präsident auch über die Pressefreiheit reden will. Das ist eine echte Nachricht. Denn bisher ist es in Russland „normal“, dass jährlich etwa 20 bis 22 Journalisten ermordet werden. In diesem Jahr sind sogar schon 54 ihrem Beruf zum Opfer gefallen.

Mit minimalen Zugeständnissen maximal erreichen, das ist die wahre Kunst des Anbiederns. Doch Kanzler Schröder ist höchstens ihr Opfer, nicht ihr Meister – das ist Präsident Putin.

ULRIKE HERRMANN