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Archiv-Artikel

SCHLECHTE PLÄTZE IN DER OPER, WILDE TÄNZER AUF DER TAZ-PARTY, WEIHNACHTSMÄNNER ÜBERALL Blink, Glitzer, Rock ’n’ Roll

VON LEA STREISAND

Vor drei Wochen veröffentlichte jemand aus Wedding ein Foto auf Facebook. Darauf zu sehen ein Balkon; auf dem Balkon ein Weihnachtsmann, ein Rentier und ein Tannenbaum, allesamt aus Plaste und von innen leuchtend. An der Brüstung eine Lichterkette. „Ist das Kunst oder kann das weg?“, fragte der Fotograf. Ein Kommentator fragte zurück: „Blinkt es denn?“ – „Nee, blinkt nich“, meinte der Fotograf, worauf der Kommentator beschloss: „Dann kann es weg.“

Das letzte Wochenende war laut Blink-/Glitzerskala definitiv Kunst. Zuerst waren wir Freitag in der Oper, Christoph und ich, ganz glamourös, in dieser vielgelobten Zauberflöteninszenierung der Komischen Oper. Leider hatten wir solche Assi-Sitzplätze, dass wir ein Drittel der Bühne nicht sehen konnten. Erster Rang ganz links. Es hat bis nach der Pause gedauert, bis wir alle Figuren identifiziert hatten.

Einer der Sänger war erkältet und wurde aus dem Orchestergraben synchronisiert, was umso lustiger war, als sie die Oper als Stummfilm inszeniert haben. Es wird einfach gar nicht gesprochen in dem Stück, nur gesungen. Die wenigen Dialoge werden auf die Bühne projiziert, die im Prinzip nicht viel mehr ist als eine Kinoleinwand mit Öffnungen, aus denen die Sänger herausgefahren werden. Ein bisschen Disney-mäßig das Ganze. Ich weiß bloß nicht, ob es im Sinne des Erfinders ist, wenn das Publikum bei der Hauptarie anfängt zu lachen, weil eine Zeichentrickfigur durchs Bild läuft.

Danach waren wir auf der taz-Weihnachtsfeier. Die hat geglitzert! Nicht nur wegen der tollen Paillettenkleider der Kolleginnen. Jemand von der Werbung hat allen Besuchern Gloss ins Gesicht geschmiert.

Und getanzt wurde. Egal, was lief. Und als irgendjemand die Jan-Josef Liefers-Coverversion von „Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt“ spielte, wurde einfach mal wieder klar, dass dies hier eine Westzeitung ist. Kein Schwein hat mitgesungen, außer mir!

An viel mehr erinnere ich mich nicht. Betriebsweihnachtsfeiern sind eben immer gute Gelegenheiten, eine neue Generation potenzieller Firmenmitarbeiter zu zeugen. Ich bin nur stolz, dass ich mich auf dem Nachhauseweg bei dem Glatteis nicht hingepackt habe, obwohl sturzbetrunken. Alkohol und Glatteis heben sich gegenseitig auf, glaube ich.

Samstag ging es mir nicht so gut. Ich hatte mir einfach komplett die Füße zertanzt. Den ganzen Tag bin ich unter Schmerzensschreien durch die Wohnung gehumpelt, bis meine Tante Erna mich abends ins Kino mitgenommen hat. Anna Karenina. So schöne Bilder! So schöne Menschen! Und erst die Kostüme! Es ist ein Anti-Tricktechnik-Pro-Theater-Film.

Auf dem Weihnachtsmarkt in der Kulturbrauerei gab es noch eine Tüte Maroni. Die waren gar nicht schlecht. Tante Erna erzählte, sie traue sich nicht, ihre Lichterkette auf den Balkon zu hängen wie jedes Jahr, weil in dem Haus in Pankow, wo sie jetzt wohnt, überhaupt gar keine Lichterketten hängen. „Mach einfach!“, hab ich gesagt.

Danach habe ich gefühlte 24 Stunden geschlafen, und dann war Lesung im Duncker. Dings von der Kultur kam auch vorbei. Er meinte, er hätte schon 1992 im Duncker aufgelegt, da habe der schon genauso ausgesehen wie jetzt, mit Diskokugel und Glasperlenvorhang von der Decke. Auch das Publikum sei dasselbe gewesen, zumindest sah es genauso aus. „Dann kann es nicht dasselbe gewesen sein“, sage ich, „dann wäre es ja nicht gealtert.“ Viel zu spät fallen wir aus der Tür.

Ein tapferer Balkon leuchtet mir blinkend den Weg nach Hause. Ich freue mich sehr. In Prenzlauer Berg sind die schließlich fast ausgestorben.