SÄCHSISCHE EXOTIK IM HOTEL PARK INN, FASCHO-UNGARN UND EIN LEERER SYRIENSTAND AUF DER ITB : Ein Gebäck namens Kürtöskalács
VON KIRSTEN RIESSELMANN
Die ITB ist die weltweit größte Messe der Reiseindustrie. Behauptet sie von sich selbst. Sagt aber auch Wikipedia. Also stimmt’s wahrscheinlich. Am Freitagabend lud das Hotel Park Inn am Alexanderplatz die Fachbesucher der ITB zur „Blue Night“ ins ehemalige Casino im 37. Stock. An den drei Abenden zuvor hatte bereits die „Red Night“, die „Yellow Night“ und die „Green Night“ stattgefunden, die Website sprach vom „Place2B“.
Ein Freund hielt Ort wie Veranstaltung zu Recht für angemessen, um in den 40. Geburtstag hineinzukommen. Verheißungsvoll lockten in luftiger Höhe die blau erleuchteten Panoramafenster schon, als man sich mit dem Rad über die Jannowitzbrücke quälte. Oben dann eine gigantische Aussicht, ein paar hässliche Loungemöbel auf viel freier Fläche und eine dreiköpfige Liveband um den – Zitat Hotelwebsite – „internationalen Musiker Neil Tylor (Gitarrist von Robbie Williams, Tina Turner, Rod Stewart etc.)“.
Die Band füllte mindestens drei Viertel ihres Dauerbeschallungsprogramms mit Beatles-Nachspielen. Tylor, ein schmächtiges Männlein mit schlohweißem, schulterlangen Haar, machte dabei eine ausgesucht britische, sehr sympathische Figur. Sympathischer auf jeden Fall als die Menschen aus der Tourismusbranche, die per Jobprofil dazu verpflichtet werden, anderen Vollzeitbeschäftigten vorzugaukeln, dass es als Leben insgesamt total okay ist, wenn man sich für die Erfüllung seiner Träume zwei Wochen pro Jahr Zeit nimmt. Vorzugsweise auf den Seychellen.
Diese Leute, mehrheitlich deutlich jünger als das Geburtstagskind, schienen von „Blue Night“ und Musik recht gelangweilt, wahrscheinlich waren sie einfach nur fürchterlich ausgepowert. Wir dagegen schauten begeistert aus den Fenstern und 120 Metern auf die Stadt hinunter, sprachen darüber, wie toll Berlin früher war und wie toll Berlin sofort wieder ist, wenn man für kurze Zeit woanders wohnen muss.
An der Bar verlangten wir blaue Mottodrinks, was der sächsisch nuschelnde Barmann erst nicht verstand, uns dann aber anbot, in egal was Blue Curaçao hineinzukippen. Blue Curaçao hört sich auf Sächsisch auf unheimliche Weise deutlich exotischer an als sowieso schon. Wir bestellten doch lieber Bier. Das Baby des Geburtstagskinds schlief in blaues Licht getaucht im Kinderwagen.
Um das Wochenende abzurunden, besuchte meine eigene frische Kleinfamilie am Sonntag die, ja, ITB. Wenn man das letzte halbe Jahr im extrem nahräumlichen Umfeld verbracht hat, kriegt man sofort Tränen des Fernwehs in die Augen, wenn man eine brummende Messehalle betritt und vor DIN-A0-Fotos von Sofitel Luxury Hotels auf Mauritius zu stehen kommt. Dschungelberge hinten, Palmenstrand davor, durchsichtiges Meer. Dann Afrika. Fotos von Elefantenherden im Sonnenuntergang. Fotos von lehmverkrusteten Ritualkriegern. Leopardenmustertischdecken. Der Syrien-Stand leer.
Am Marokko-Stand spielte ein hospitalistisch wirkender Musiker sein Saiteninstrument und ließ minutenlang die Quaste an seinem Fez kreisen. Das Baby würde in der Nacht nicht gut schlafen. In der Israel-Sektion animierte eine Band die Besucher erfolgreich zum „Hava Nagila“-Mitsingen. Die an die zehntausenden schwer mit Broschüren bepackten Rentner verteilte „Touring Map of Israel“ verzeichnet keine Mauer und färbt die palästinensischen Gebiete nicht mal anders ein. Dass wir uns dann ausgerechnet bei den Fascho-Ungarn ein Gebäck namens Kürtöskalács kauften, drückte die Stimmung auf einen Tiefpunkt, aus der uns auch die „AirfolgsRegion Erding/Freising“ mit ihrem krachledernen Personal nicht mehr herausholen konnte. Wir fuhren nach Hause.